Hungerstreik am Bundeskanzleramt

Seit Ende September campiert der Litauer Antanas Krüvelis vor dem Amtssitz von Bundeskanzler Schröder. Von dem erhofft er sich „Hilfe und Wahrheit“ und Einflussnahme auf Litauen. Dort wurde der 45-Jährige aus seiner Wohnung geschmissen

von JÖRG STREICHERT

Von Antanas Krüvelis ist nicht viel zu sehen. Er liegt tief eingepackt in seinem Schlafsack. Doch seine Lage ist brisant. Der Litauer lagert nämlich direkt vor dem bundesdeutschen Adler: an der Tür eines Seiteneingangs des Bundeskanzleramtes. Dort weist er mit einem Schild auf seine Situation hin: „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Schröder. Ich suche Hilfe und Wahrheit“ steht darauf.

Seit Ende September befindet sich Krüvelis in unmittelbarer Nähe zu Gerhard Schröder im Hungerstreik. Doch kaum einer bemerkt ihn. Die wenigen Passanten stutzen höchstens kurz, wenn sie seinen Lagerplatz sehen, dann gehen sie schnell weiter. Selbst die obligatorische Polizeistreife zeigt kein Interesse, als sie an dem Litauer vorbeischlendert. Nur ein Obdachloser bleibt kurz stehen und wundert sich über Krüvelis’ ungewöhnlichen Aufenthaltsort.

Dem 45-jährigen Krüvelis ist das egal. Er sieht in diesem Streik seine letzte Chance, will „eine sehr lange Geschichte zum Abschluss bringen“. Die begann 1990, als er im Zuge der in Litauen einsetzenden Privatisierungswelle aus seiner Wohnung geworfen wurde. Seitdem kämpft er gegen diesen Rausschmiss. Zunächst mit Briefen und Petitionen an die Litauische Regierung, seit 95 schreibt er regelmäßig auch an bundesdeutsche Einrichtungen.

Wie berechtigt und sinnvoll dieses Begehren auch ist, der ehemalige Bauarbeiter verfolgt sein Ziel hartnäckig. Manchmal wirkt er dabei organisiert und aufgeweckt. Er führt zum Beispiel Tagebuch über seine Situation und hat Kontakte zu einer litauischen Journalistin aufgebaut.

Dann aber zeigt er sich aber auch fahrig und leicht verwirrt – auch weil er sein Anliegen in der deutschen Sprache nicht gut genug vortragen kann, wie er meint. Jolita Venckute, die Krüvelis’ Situation in der litauischen Zeitung Lietuvos Rytas publik gemacht hat, glaubt, dass er vielleicht auch schon vom Hunger geschwächt sei. Das deckt sich mit Krüvelis’ eigener Einschätzung. „Ich habe Angst um meine Gesundheit und weiß nicht, wie es weitergeht“, sagt der Liatauer.

Unterstützung erfährt er nur von einigen wenigen Freunden, die ihm etwas Geld aus Litauen schicken. Hier in Berlin schenkte ihm eine russische Passantin eine Decke. Das ist alles, was er in der Hauptstadt an Aufmerksamkeit bekommt.

Die Politik hat bislang noch gar nicht reagiert, weder positiv noch negativ. Denn immerhin darf er weiter unbehelligt am Bundeskanzleramt lagern. Nur zweimal wurde er zur Aufnahme seiner Daten von der Polizei mitgenommen, sonst lässt man ihn in Ruhe. Das ist allerdings nur bedingt in Anatas Krüvelis’ Sinne, denn er will ja, dass sich das Kanzleramt um seine Angelegenheit kümmere. „Es geht hier um Gerechtigkeit. Für mich und in Litauen. In der ganzen Welt“, meint Krüvelis.

Dass er mit seinem Anliegen vor dem Bundeskanzleramt richtig liegt, ist wohl eher unwahrscheinlich. Doch er dürfte nicht nicht der Einzige sein, der genau von dieser Stelle „Hilfe und Wahrheit“ erwartet.