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: Bühne des Lebens: Romane rund um den sozialen Kosmos hinter den Kulissen

Liebe, Eifersucht und Theaterblut

„Leeres Theater. Auf der Bühne stirbt / Ein Spieler nach den Regeln seiner Kunst / Den Dolch im Nacken. Ausgerast die Brunst / Ein letztes Solo, das um Beifall wirbt / Und keine Hand. In einer Loge, leer / Wie das Theater, ein vergessenes Kleid.“ Das sind die ersten Zeilen von Heiner Müllers Gedicht „Theatertod“, enthalten in der von Durs Grünbein besorgten Auswahl „Ende der Handschrift“.

Gemeuchelt und gestorben wird auf Theaterbühnen viel, zum Beispiel in Harold Pinters sarkastischem Stück „Mondlicht“, in dem einer, umgeben von seiner alles andere als trauernden Verwandtschaft, seinen eigenen Tod erlebt. Bei Heiner Müller wird zwar ein „echter“ Selbstmord angedeutet, doch bleibt er als Gedicht natürlich auch nur ein ästhetisches Experiment.

Und dies Spiel, in dem die Grenzen zwischen gemimtem Bühnentod und blutigem Ernst des Lebens beziehungsweise Sterbens sich verwischen, wird von Romanen, die im Kulissenfundus des Theatermilieus angesiedelt sind, immer wieder neu inszeniert.

So etwa in Anna Johanns schnellem, kleinem Krimi „Mordsglück“, in dem sich eine mäßig begabte Schauspielerin zum Erfolg bumst und mordet. So aber auch in Pascal Merciers raffiniertem, vielschichtigem und atmosphärisch dichtem Roman „Der Klavierstimmer“: Während einer Opernaufführung wird ein Tenor auf offener Bühne erschossen. Die Kinder des Täters, ein Zwillingspaar, reisen nach Berlin, um zu begreifen, wieso ihr Vater, ein Klavierstimmer, die Tat begangen hat. Es stellt sich heraus, dass der Vater ein gescheiterter Opernkomponist war, dessen Misserfolg seine Familie zerstört und ihn selbst in blinden Hass auf den Erfolg getrieben hat.

Dass Literatur- und Theaterkritiker gescheiterte Autoren sind, die ihren Frust nun an erfolgreichen Schriftstellern auslassen, ist natürlich nur ein hübsches Klischee. Aber vielleicht würde sich doch so mancher Dramatiker klammheimlich freuen, passierte dem einen oder anderen Beckmesser das, was einem allseits unbeliebten Pariser Theaterkritiker in Dean Fullers „Tod eines Kritikers“ passiert: In der Premiere bricht er vergiftet zusammen. Fullers Buch ist zwar „nur“ ein Krimi, doch gelingt es dem amerikanischen Autor und Komponisten hervorragend, die Intrigen, Eifersüchteleien und den Erfolgsneid zu inszenieren, der die Theaterszene hinter den Kulissen beherrscht.

Einer der schönsten Filme über den Zusammenhang zwischen Theater und Wirklichkeit ist gewiss „Shakespeare in Love“. Mit „Der Rest ist Liebe“ hat die kanadische Autorin Carole Corbeil einen Roman geschrieben, der gleichfalls davon handelt, wie die Fiktionen eines Theaterstücks, hier Shakespeares „Hamlet“, das Verhalten von Menschen bestimmen kann, die mit dem Stück umgehen. Übrigens heißt der Roman im Original weniger melodramatisch und viel treffender „In the wings“, „Hinter den Kulissen“ also. Auch hier geht es um Liebe und Eifersucht, vor allem aber eben um die kleineren und größeren Schieber- und Schweinereien hinter den Kulissen – um Karriere und Erfolg.

Das Auftreten von Schauspielerinnen „ist von Anfang an nicht bloß auf erregte Bewegung – bewundernde oder ablehnende – gestoßen, es war immer zugleich auch von einem geschwätzigen, zweideutig-lüsternen Flüstern begleitet, das zuallererst der Privatperson der Bühnenkünstlerin galt. ... Gewiss ist, daß das Interesse des männlichen Publikums an der Schauspielerin nicht zuletzt auf sexuellen Motiven beruhte.“ So Renate Möhrmann in der von ihr edierten Kulturgeschichte „Die Schauspielerin“. Der zitierte Satz gilt zwar fürs 18. und 19. Jahrhundert, doch hat sich der männliche Spießerkurzschluss Schauspielerin = Prostituierte abgeschwächt erhalten, insofern bestimmte Schauspielerinnen als Sexsymbole vermarktet werden und damit promiskuitive Wunschprojektionen des Publikums anheizen. Die Romane, von denen hier die Rede ist, spielen fast alle noch auf diesen Mythos an.

Nicht jedoch Petra Morsbach in ihrem „Opernroman“, der im Gegenteil darauf aus ist, die von Fantasien und Projektionen verstellte Bühnenwelt auf den Boden der Tatsachen zu stellen – das allerdings in Form einer wunderbaren Fiktion, die bei aller Realistik dann doch wieder Theaterzauber verbreitet. Ort des Geschehens ist zwar ein Opernhaus, aber dieser Roman interessiert sich ausschließlich für das, was sehr profan hinter den Kulissen passiert. Vom Intendanten bis zur Kantinenwirtin, vom Geiger bis zum Kulissenschieber treten alle auf, die ein Theater zum sozialen Kosmos, zur Modellwelt in der wirklichen Welt machen.

KLAUS MODICK

Heiner Müller: „Ende der Handschrift“. Bibliothek Suhrkamp, 120 Seiten, 20 DMHarold Pinter: „Mondlicht und andere Stücke“. rororo, 128 Seiten, 16,90 DMAnna Johann: „Mordsglück“. Fischer TB, 191 Seiten, 12,90 DMPascal Mercier: „Der Klavierstimmer“. btb, 509 Seiten, 20 DMDean Fuller: „Tod eines Kritikers“. Serie Piper, 333 Seiten, 16,90 DMCarole Corbeil: „Der Rest ist Liebe“. btb, 346 Seiten, 18 DMRenate Möhrmann (Hg.): „Die Schauspielerin – Eine Kulturgeschichte“. insel tb, 447 Seiten, 22,90 DMPetra Morsbach: „Opernroman“. btb, 317 Seiten, 18 DM