Fluchtgedanken
: Ein Brief aus Israel

■ Friedensfrauen beider Seiten ringen um mehr Verständigung im Konflikt

Was der Abbruch aller Friedensbemühungen zwischen Israelis und PalästinenserInnen und das Wiederaufflammen alter Feindschaft für Einzelne bedeutet, geht aus dem folgenden Brief einer Israelin hervor, den die Bremerin Anette Klasing vom Lidice-Haus gestern bekam. Das Lidice-Haus in Bremen Nord versucht seit über drei Jahren, mit einem deutsch-israelisch-palästinensischen Frauenprojekt den Friedens-prozess von der Basis her zu stärken. Grundlage dafür war bisher vor allem der Austausch im Gespräch – an den bald direkte Projekte beispielsweise zur Berufsförderung von Frauen anknüpfen sollten. Wie sehr dieses Ziel gegenwärtig gefährdet ist, zeigt der Brief, den die taz dokumentiert. Ihn hat eine jüdische Teilnehmerin der Begegnungen verfasst.

Meine lieben FreundInnen,

Worte reichen in diesen Tagen nicht aus, um meine Gefühle zu beschreiben, die Ihr – wie ich weiß – alle teilt.

Es muss so viel gesagt und getan werden. Aber obwohl ich nach Kräften alles tue, bin ich niedergeschlagen und pessimis-tisch. Dieses Gefühl entsteht vor allem dann, wenn ich mir meine eigene Gesellschaft anschaue, die sich während des jahrelangen „Friedensprozesses“ unglücklicherweise nicht wirklich verändert hat. Die Stimmen, die ich jetzt hier höre, klingen, als kämen sie weit aus der Vergangenheit, ich habe nie damit gerechnet, so etwas noch einmal zu hören – von „Friedensleuten“. Das macht mich krank. Glücklicherweise umgeben mich andere – zumeist Frauen –, die schon so etwas wie meine Unterstützungsgruppe geworden sind, um aus dem Faschismus, dem Hass und dem Rassismus um uns herum zu fliehen.

Was ich noch zu sagen habe? Ich bin traurig, ich schäme mich und ich habe die Hoffnung auf eine unbeschwerte Zukunft in diesem Land verloren – solange ich und meine Kinder leben. Ich denke ständig darüber nach, das Land zu verlassen und an einen anderen Ort auf dieser Welt zu ziehen – irgendwohin, wo die Menschen einfach nur ihr Leben leben. Ich habe keine Ahnung, ob es so einen Ort gibt, aber in diesen schrecklichen Tagen fantasiere ich ihn mir herbei.

Ich habe das ganz starke Gefühl, dass wir unsere gegenseitige Unterstützung brauchen, und ich hoffe, sie wird bestehen bleiben. Auch wenn ich so schwach und pessimistisch klinge, könnt ihr Euch darauf verlassen, dass ich alles daran setze, die Wirklichkeit zu verändern. Ich und meine FreundInnen, wir nehmen an Demonstrationen teil und organisieren welche und wir treffen uns mit PalästinenserInnen in Israel. Vor allem Frauen schreiben Briefe und starten Kampagnen gegen die israelische Polizei und unterstützen Soldaten, die den Kriegsdienst in den palästinensischen Gebieten verweigern und mehr.

Seid umarmt V.