Gegen die Normalität des Alltags

20 Jahre im Dienst der linken Bewegung: Mit Satzmaschinen für Flugblätter hat es in Berlin-Kreuzberg begonnen. 1987 folgte das Umbruch-Bildarchiv. Mit Videoprojekten von und über den Alltag von Flüchtlingen soll die Geschichte linker Gegenöffentlichkeit in Berlin noch lange nicht enden

von UWE RADA

Manchmal sah die Ästhetik des Widerstands so aus: Flugblätter als fotolose Bleiwüsten, weiße Satzschnipsel auf schwarzem Hintergrund im Radikal-Layout sowie Plakate, die gestalterisch irgendwo zwischen John Heartfield und „autonomem Realismus“ hängen geblieben waren. Die Rede ist von Westberlin im Jahre 1980.

Und die Rede ist von „Gegensatz“, einem in jenem Jahr gegründeten Kreuzberger Kollektiv, aus dem sieben Jahre später das Bildarchiv Umbruch werden sollte. Linke Ästheten waren es, die hier am Werk waren und sich lieblos gemachte Flugblätter und Plakate nicht länger anschauen wollten.

Weil aber linke Ästheten, zumal dazumal, über keinerlei Sanktionsmöglichkeiten verfügten, blieb ihnen nichts anderes übrig als Technik zur Verfügung zu stellen: Satzmaschinen, so genannte Composer, Geräte zum Rastern von Fotos. „Damals“, sagt Mitgründer Hermann, „waren wir technisch besser als Springers BZ.“ Mittlerweile haben sich auch die linken Ausdrucksformen geändert. Fotos von Straßenschlachten und Demonstrationen sind in den Hintergrund gerückt, der soziale Alltag, vor allem der in Kreuzberg, hat revolutionären Boden gutgemacht.

Das Gegensatz-Kollektiv hat diese Veränderung in den Achtzigerjahren begleitet, oft auch angeregt. Und es hat sich konzeptionell immer auch selbst erneuert. „Gegen die Unterbelichtung der linken Bewegung“ hieß das Motto der Bildagentur „Umbruch“, die 1987 aus Gegensatz hervorgegangen war. „Mehr Vermittlung von linken Inhalten über Fotos war unser Ziel“, erinnert sich Hermann. Hinzu kam, dass die einstmals revolutionäre Technik längst veraltet war und auch die Kreuzberger Kämpfer begonnen hatten, ihre Flugblätter auf dem eigenen PC zu layouten.

Umbruch gibt es heute noch, und noch immer wird ein Großteil der Fotos, die im Kreuzberger Archiv gesammelt werden, von den Zeitungen, darunter auch der taz, abgedruckt. Und noch immer ist den Fotografen die Agentur wichtiger als die Nennung ihres Namens. Andere Fotos stellen die Kreuzberger dagegen auch mal der Senatskanzlei zur Verfügung, gegen ein entsprechendes Honorar versteht sich. Die Zeiten haben sich auch in Kreuzberg verändert.

Und mit ihnen der politische Anspruch der Kollektivisten. Mit ihrem neuesten Projekt, dem „Videofenster“, haben sie sich wieder auf ihre Rolle als linke Dienstleister besonnen. Diesmal geht es allerdings nicht um die Produktion von Flugblättern, sondern um die Selbstorganisation von Flüchtlingen.

Seit der Flüchtlingskarawane, die seit zwei Jahren durchs Land rollt, wehren sich die Betroffenen selbst gegen alltäglichen Rassimus oder diskriminierende Gesetze wie beispielsweise die „Residenzpflicht“. Diese Bestimmung verbietet es Asylbewerbern, ihren Landkreis zu verlassen. Die Homepage von Umbruch samt dem „Videofenster“ ist für Flüchtlingsgruppen Produktionsmittel, Sendeplatz und Kontaktbörse zugleich.

Der Alltag ist, so scheint es,wieder politischer geworden. Und er ist dennoch ganz auf dem Boden der Realität. Wer hätte das vor zwanzig Jahren gedacht?

Internet-Adressen: www.umbruch-bildarchiv.de sowie www.humanrights.de