Russlands letzter Schrei

■ Ist Putin nur ein Computermodell? Viktor Pelewin liest aus „Generation P“

„Dem Andenken an den Mittelstand“ hat Viktor Pelewin seinen neuen Roman Generation P gewidmet, denn von dem ist in den postsowjetischen 90er Jahren keine Spur mehr zu sehen. Reich gewordene Parteibonzen sitzen bequem in ihren Datschen, während der Rest der Bevölkerung Schlange steht. Dazwischen gähnt eine große Leere, die rasend schnell von Medien- und Werbefirmen gefüllt wird, die das russische Volk mit ihren Slogans und Clips ganz auf westliche Waren einzustimmen versuchen.

Mitten hinein in dieses bodenlose Kaninchenloch schickt Pelewin seinen Antihelden Tatarski, einen Absolventen des Moskauer Literaturinstituts, der statt Übersetzungen aus dem Kirgisischen nun Werbekonzepte für löslichen Kaffee und Sportartikel verfasst. Dabei geht es vor allem darum, westliche Strategien dem russischen Verbraucher anzupassen. Pelewin lässt keine Gelegenheit aus, in den Slogans Tatarskis sowohl die leeren Glücksversprechen westlicher Prägung als auch die russischen Sehnsüchte, denen sie angepasst werden sollen, durch den Kakao zu ziehen.

Doch neben beißender Parodie ist der Roman auch ein postmodernes Vexierspiel mit den Oberflächen einer disparaten Realität. Tatarskis Aufstieg im „Institut für Bienenzucht“, dem alles lenkenden Medienimperium, das seinen Sitz in einem alten sowjetischen Paradebau gefunden hat, wird zu einer Suche nach einem Machtzentrum, nach dem, was Russland im Inners-ten zusammenhält. Wie der Landvermesser K. in Kafkas Schloss hofft Tatarski, schließlich vor den Herrn seiner Geschicke treten zu dürfen, und begegnet doch nur untergeordneten Funktionären.

Sogar die russische Regierung entpuppt sich als eine Hand voll an Computern entworfener Modelle. Politische Entscheidungsprozesse sind wacklig umgesetzte Storyboards, in denen Lebed auf tschetschenische Generäle trifft oder Jelzin eine Treppe hinunterfällt. An die Stelle von politischen sind ästhetische und technische Probleme getreten, denn die Rechner sind von den Amerikanern ausgeliehen und laufen nur auf 400 Megahertz. Da wirkt der Beresowski schon mal grob gepixelt.

Im Sommer 1999 wurden von Generation P in Russland mehr als 200 000 Exemplare verkauft, die institutionalisierte russische Literaturkritik hingegen schimpfte Pelewin einen Blender und Dilettanten. 1997 wurde ihm die Nominierung zum Booker Preis verwehrt,, mit der Begründung, dass sich seine Werke wie Viren verhielten, die das kulturelle Gedächtnis des Landes zerstörten. So die Argumentation von Igor Shaitanow, Literaturprofessor in Moskau. So leicht geben die Machteliten nicht die Hoffnung auf eine Öffentlichkeit auf, die durch Einschwörung auf eine sanktionierte Realität leicht zu manipulieren ist. Vielleicht steckte aber auch das Institut für Bienenzucht dahinter, und Shaitanow ist nichts weiter als ein Haufen Bits auf einer längst verstaubten Festplatte. Volker Hummel

Viktor Pelewin: „Generation P“. Aus dem Russischen von Andreas Tretner, Verlag Volk & Welt, 325 Seiten, 42 Mark

Lesung Montag, 20 Uhr Literaturhaus