Partizipation mit Morddrohungen

Nicaragua sollen Schulden erlassen werden. Doch mit der geforderten Beteiligung der „Zivilgesellschaft“ hapert es

BERLIN taz ■ Wenn Vilma Nuñez in Managua die Zeitung aufschlägt, findet sie bisweilen Artikel, die sich an sie persönlich wenden. So musste sie im konservativen Regierungssprachrohr La Noticia lesen: „Erinnern Sie sich, dass auch der Revolutionär Sandino sterben musste, weil er das Volk aufwiegelte.“ Vilma Nuñez ist Präsidentin des nicaraguanischen Menschenrechtskomitees CENIDH. Sie kritisiert die Behörden, die die Beteiligung der Bevölkerung verhindern – etwa bei der Aufklärung von politischen Morden, wofür die Sandinistin sich einsetzt. Der Herausgeber von La Noticia hält sie für eine Subversive.

Für ihre CENIDH-Kollegen Gonzalo Carrión und Javier Perez ist sie eine Aktivistin, die in vorbildlicher Weise erfüllt, was sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) von Nicaragua verlangt: ein Gegengewicht zur Regierung zu bilden. Die G-7-Staaten haben 1999 beschlossen, den am höchsten verschuldeten Entwicklungsländern, darunter Nicaragua, insgesamt 70 Milliarden US-Dollar Schulden beim IWF zu erlassen. Bedingung: Die Schuldnerländer müssen einen Plan zur Armutsbekämpfung vorlegen, der unter Einbeziehung der „Zivilgesellschaft“ erarbeitet worden ist.

CENIDH ist einer von rund 250 nichtstaatlichen Verbänden (NGO), die zusammen mit der Regierung über ein Konzept gegen die Armut verhandeln. Die Drohungen gegen die Menschenrechtlerin zeigten aber, dass dieser Dialog für die Machthaber „nur eine Pflichtübung“ sei, klagte Carrión bei einem Besuch in Berlin. „Unsere Forderungen sind nicht in den Text des Entwurfs eingeflossen, nur unserer Namen hat man auf der letzten Seite aufgelistet.“ Carrión und Perez vertreten CENIDH in der Coordinadora Civil, dem Dachverband der nicaraguanischen NGOs.

Im deutschen Entwicklungsministerium (BMZ) hat die Schilderung der beiden nur mäßiges Erstaunen ausgelöst. „Dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft zu wünschen lässt, ist leider überall so“, meint Heinrich Dehn, Leiter des Lateinamerika-Referats. Der Fall Nuñez sei kein Hinweis auf das Scheitern des IWF-Konzepts in Nicaragua. Andere Gruppen spielten darin eine wichtigere Rolle als CENIDH. „Die Drohungen gegen Nuñez und die Arbeit am Armutsbekämpfungsplan kann man so nicht in einen Zusammenhang setzen.“ BMZ-Schuldenexpertin Michaela Zintl betont, die NGO-Mitarbeit an dem Sozialplan sei ohnehin erst in einer späteren Phase vorgeschrieben. Bisher gebe es nur einen Entwurf, der in Washington geprüft und nach Nicaragua zurückgeschickt werde. „Wichtig ist, dass dann alle an der Feinarbeit mitwirken.“

Die Gläubigerregierungen stecken in einem Dilemma: Sollen sie auf einen schnellen Schuldenerlass drängen? Oder sollen sie die Kriterien für die NGO-Beteiligung möglichst hoch hängen? Auch in anderen Ländern hapert es mit der Beteiligung. In Kamerun etwa sei sie „eine Worthülse“, berichtet Pedro Morazán, Autor einer Studie zum Schuldenerlass. Dort mussten mehr als 200 Regionen mit unterschiedlichen Sprachen zusammenfinden, bevor an „Partizipation“ überhaupt zu denken war. Der Entschuldungsprozess gehe ihnen zu schnell, beschwerten sich die Gesandten aus den Provinzen. Die Regierungen hingegen fordern einen schnelleren Erlass, weil sie den finanziellen Freiraum sofort brauchen. Daher „drücken die Gläubiger schon mal beide Augen zu, wenn ein Land Armutsbekämpfung nach eigenem Geschmack betreibt“, erklärt Morazán.

Als Kompromiss wird ein Teil der Schulden nun bereits dann erlassen, wenn der erste Entwurf für einen Sozialplan steht. Kanada hat auf der IWF-Tagung in Prag zusätzlich ein Moratorium vorgeschlagen. Das will auch die deutsche Regierung prüfen, wie BMZ-Chefin Heidemarie Wieczorek-Zeul sagte. Von ihr heißt es übrigens, sie sei beeindruckt gewesen, wie unverfroren Nicaraguas Präsident Alemán vor genau zwei Jahren, nach dem Wirbelsturm Mitch, Spenden an Günstlinge verteilt hat.

KATHARINA KOUFEN