schwarze löcher, gerümpel etc.
: In den Ecken und Nischen lauert die Geschichte

Aufräumen

Eigenartig ist es, wenn ich mich an die schwarzen Löcher in meiner Wohnung mache. Eins ist neben dem Bad, eines in der Küche und eines im Arbeitszimmer. Ecken, Nischen voller Gerümpel, und irgendwann muss ich aufräumen.

Ein DDR-Anrufbeantworter, sie hatten wirklich die größte Mikroelektronik der Welt, Zeitschriften, Dreck, Staub. Lauter kleine Zeitreisen in die Vergangenheit: eine Postkarte von Heinz Jankovsky von 1985. Ein Kontrollzettel von 93, wofür ich mich damals interessiert habe und Rezensionsexemplare ergaunert, Wachtel: „Linksdrall“, Bukowski: „Girls“ und Cherkovski: „Bukowski“. Eine ganze Kramkiste von meiner zweiten Amerikareise, ein Zeitungsartikel aus der Roanoke Times & World-News, in dem ich erwähnt werde, damals war es gerade mit Heidel zu Ende, und so kann ich es datieren: Friday, march 31, 1995, an dem Tag verließ ich Blacksburg, Virginia, und wahrscheinlich werde ich dort nie wieder hinkommen.

Immatrikulationsbescheinigungen, auch von 95, eine Quittung für einen Adapter von 92, die kann wirklich weg. Eigenartige Textfragmente: „Als ich das erste Mal am Friedhof vorbeifuhr, funktionierte die Hupe nicht. Es muss die Sicherung sein, denn gestern hielt mich die Polizei an, weil meine Rücklichter nicht funktionierten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Bremslichter und Hupe gleichzeitig nicht funktionieren, ist zu gering, also eine Sicherung, wo Bremslichter und Hupe liegen, ist durchgebrannt oder oxidiert.“ Klingt wie für den Roman, an dem ich derzeit arbeite. Oder sollte das der Anfang einer Kurzgeschichte werden?

Zimt aus der DDR, Pappblumentöpfe, sogar richtige Kolumnenschnur, alles in den Müll. Briefe an meinen früheren Untermieter, nein, die hebe ich nicht auf. Eine eigenartige Libelle kommt an den Küchenbalken, ein Flyer für eine Harry-Hass-Lesung von 93 in meine Kladde. Glühbirne in die Küche, Regal in die Badnische, es beginnt richtig Spaß zu machen.

Schellackplatten, spiele einige mechanisch ab, „La Paloma“, Seemannsschnulzen, aus der Vergangenheit, „Schifflein, kleines Schifflein, grüße mir die blaue Adria!“, „Eine Seefahrt, die ist lustig“. An der Nadel des Grammophons schwarze Schmiere, diese Platten scheinen wirklich aus dunkler, zähflüssiger Zeit gemacht.

Regale, Bücher hin- und herschleppen, rätselhaft, wie ich es so lange ohne Räumversuche ausgehalten habe. Weiterräumen, wegwerfen hauptsächlich. In dem Riesenkoffer „Garantiert Sperrholz“ Alpha-Stempelfarbe, noch aus der DDR und Gera, alte Fahrzeugscheine, ein Interview mit Elie Wiesel vom 25. November 91 auf einer Orwo-Kassette, mein Gott, VEB Chemiefaserwerk „Friedrich Engels“, Premnitz.

Ich finde sogar einen dieser Stifte, einen so genannten Art Pen, aber das Schreiben damit lässt sich eher mühsam an. Was mache ich nur mit den ganzen Sachen? FALKO HENNIG