Nicht mal Krokodilstränen

Die „ZDF-Hitparade“ findet heute zum vorletzten Mal statt. Echte Betroffenheit will sich selbst in der Branche nicht einstellen, auch der Moderator freut sich auf die Zeit danach. Ein vorläufiger Nachruf

von JAN FEDDERSEN

Die guten Zeiten waren ja ohnehin längst vorbei. Sie dauerten 183 Sendungen, sind mit dem Namen Dieter „Thomas“ Heck verbunden – und schon 16 Jahre her. Damals, er hatte gerade in seiner Sendung die Neue Deutsche Welle verkraftet, war es die Gruppe Geier Sturzflug, die mit ihrem „Bruttosozialprodukt“ dem „Schnellsprecher der Nation“ endgültig die Laune verdarb.

Am 18. Januar 1969 hatte Heck die Ära begründet: die der ZDF-Hitparade. Er avancierte von da an zum Meister des deutschen Schlagers, auf dass er keinen guten Ruf mehr haben sollte. Ohne Heck hätten Sänger und Sängerinnen wie Michael Holm, Rex Gildo, Cindy & Bert, Roland Kaiser und Nicole nie ins Alltagsgedächtnis einer ganzen Zeit einsinken können. Die Welt war heil, die des Dieter „Thomas“ Heck heiler und die der ZDF-Hitparade am heilsten.

Doch schon Anfang der Achtzigerjahre begann die Sendung zu siechen: Die jungen Zuschauer gingen verloren, hörten lieber Schlager von Nena, Trio und Spliff. Aber die gab es nie in der „ZDF-Hitparade“ – und so verkam die Sendung zwischen Abendbrot und Abendprogramm mehr und mehr zur Domäne der Kukidentkonsumenten. Zumal Heck auch politisch nichts mit den neuen deutschen SängerInnen anfangen konnten: weder unionsnah im Lebensgefühl („Hallo, Herr Nachbar“) noch gemütlich-schmissig („Heute hau’n wir auf die Pauke“). Stattdessen: „Da, da, da“.

Heute hat ein Mann die inzwischen über 30-jährige Tradition abzuwickeln, der nie an die schrecklich-schaurig-schönen Glanzzeiten Hecks anknüpfen konnte: Uwe Hübner bekam vor einem Vierteljahr vom ZDF in Mainz mitgeteilt, dass seine Sendung erstens auf den ungünstigen Sendeplatz um 17.55 Uhr am Samstag gelegt würde, und zweitens kurz darauf Bescheid, dass zum Jahresende überhaupt mit der ZDF-Hitparade Schluss sei.

Die Quote, hatte da auch ZDF-Programmdirektor Markus Schächter erkannt, sei unter aller Würde und das Image der Sendung so gar nicht geeignet, den Sender vom Ruch, außer „Wetten dass ...“ nur verstaubte Unterhaltung zu bringen, zu befreien. 80 Prozent ihrer Zuschauer hatte die Sendung in rund zehn Jahren verloren, neue Kunden kamen kaum hinzu. Quoten unter 10 Prozent: Das war das Todesurteil.

Denn eine Besserung war schon deshalb nicht in Sicht, weil die Musikindustrie die Sendung links liegen gelassen hat. Eine derartige Wettbewerbssendung, heißt es seitens der Major-Plattenfirmen, sei nichts für die Big Stars wie Udo Jürgens oder die „Prinzen“. Und Popikonen wie Sabrina Setlur und Xavier Naidoo wurde abgeraten, am allmonatlichen Wettträllern mitzutun: Das Umfeld sei zu schlagerhaft, also völlig untauglich für die Zielgruppen, die diese Hipster bedienen müssen.

So kommen die immer gleichen SängerInnen zum Zuge, deren CDs sich nach Auskunft des einflussreichen Medienmanagers Hans R. Beierlein fast nicht verkaufen lassen, und die gerade deswegen ein Forum brauchen, um sich im Benefiz- und Galageschäft (Firmenpartys, Volksfeste, etc.) zu halten – die „ZDF-Hitparade“ macht wenigstens in dieser Hinsicht noch Marktwert für Nicole, Ingrid Peters, die Gruppe „Wind“, Michael Morgan, Petra Frey und G. G. Anderson.

Sie alle werden nun eine entscheidende Plattform verlieren – zumal auch die Schlagersendungen in den Radios stetig Hörer einbüßen.

Das gilt natürlich auch für Moderator Uwe Hübner, der mit seinen Mitteln – natürlich für die „Sache des Schlagers“, so Hübner – zehn Jahre versuchte, aus der ZDF-Hitparade Funken zu schlagen. Vergebens. Auch für ihn brechen nun womöglich schlechtere Zeiten an. Die Sendung war seine Visitenkarte, um ehrenwerte und gut dotierte Engagements auf Kreuzfahrtdampfern, Verträge für Hitmix-CDs und eine gewisse Prominenz überhaupt zu bekommen. Mary Roos, eine der erfahrensten Sängerinnen des Landes, sollte ihr Lied „Aufrecht geh’n“ aus dem Jahre 1984 am liebsten für Uwe Hübner persönlich nochmals singen. Doch kühl gibt sie die Verantwortung an den nie kritischen und immer freundlichen Hübner zurück: „Er wird es verkraften, das hoffe ich. Nur die Starken überleben.“ Schließlich ist auch Dieter „Thomas“ Heck nach wie vor im Geschäft, auch wenn er auf immer jüngere Redakteure in den Senderredaktionen trifft, die seine Art des Tremolierens eher uncool finden.

Auch Hübner ist zumindest für die unmittelbare Zukunft ganz leidlich versorgt: Er bekommt nächstes Jahr noch einmal zwei Showsendungen beim ZDF. Und Hans R. Beierlein, der Mann, der in Deutschland die so genannte Volksmusik promotete, sagt mit Blick mit den 16. Dezember, wenn aus Berlin die allerletzte ZDF-Hitparade gesendet wird: „Dann ist der Spuk vorbei.“