Pop-Besessenheiten

■ Christian Gasser liest in der Schilleroper aus „Mein erster Sanyo“

Spätestens seit Nick Hornbys Romandebüt High Fidelity ist die Figur des Pop-Besessenen im literarischen Reigen keine Unbekannte mehr. Der Typus des (zumeist) männlichen, kleinbürgerlichen Studiumabbrechers – gefangen in einem globalen und bohèmehaften Paralleluniversum aus Single-Raritäten, obskurem Bandwissen, ewigen Bestenlisten und seltsamer Idiome – hat alle Aussichten, zum Helden einer nach Content und Coolness lechzenden, popkulturell aber sturzdummen „Generation Golf“ zu werden.

Die lebenslang eingegangene Knechtschaft im Dienste eines elitären Popdenkens offenbart bei gleichzeitiger Aufgabe von Pros-perität den Pop-Missionaren als Mönch. Seine Geschmackstyrannei gegenüber der Umwelt begründet zumindest Hornbys Rob Fleming mit Fragen aus seinem eigenen Katechismus: „Kann man eine Frau lieben, deren Lieblingsband die Simple Minds sind?“

Dagegen präsentieren sich Christian Gassers „Bekenntnisse eines Pop-Besessenen“, die vor kurzem unter dem Titel Mein erster Sanyo in der Edition Tiamat erschienen sind, wie die Beichte eines armen Sünders. Denn Christian Gassers autobiographisches Ich hat ein großes Problem: Uriah Heep. Ein hilfloses Faible für die englischen Heavy-Rocker verhagelt dem Schweizer am 13. April 1978 eine selbstverfasste Liste der „15 liebsten LPs“.

Erst auf Platz vier folgen nämlich die Sex Pistols mit Never Mind The Bollocks. Das wurmt. Denn natürlich war das uncool, und natürlich hat Gasser all diese Listen aufbewahrt, aus denen er über knapp 200 Seiten eine amüsante popkulturelle Lebensbeichte ableitet. Wie alle Schweizer ist Gasser Pedant und somit geschaffen für die Karriere des Popbesessenen. Hierbei spielt praktische Lebenshilfe eine mitteilsame Rolle: Sei es die Finanzierung der Schallplattensucht (Job im Plattenladen), die Ordnung innerhalb der Plattensammlung (alphabetisch/chronologisch oder vorübergehend emotional) oder einfach die frühe „Pop-Geschichte nach meiner Auffassung“ (1.Jazz/Blues, 2. Rock'n'Roll, 3. Beatles, Rolling Stones, Who, 4. Punk).

Gasser, heute Redakteur beim Schweizer Rundfunk, macht keinen Hehl aus der Schwachsinnigkeit seines Tuns. Das brauch er auch nicht, denn seine treibende Motivation ist jedem Jungen mit mehr als 1000 Platten im Schrank bekannt. Ein spätpubertäres Dilemma, da sich Mädchen meist nichts aus Listen machen. So sind im Gegensatz zu Hornbys Helden bei Gasser andere Menschen, ja Frauen gar, nur Fußnoten seiner Leidenschaft. Das ist schade, aber toll.

Michael Hess

heute, 21 Uhr, Schilleroper