Land der unbegrenzten Widersprüche

Ist der nächste US-Präsident erst mal ernannt, kommen überall Probleme auf ihn zu – nur nicht in Florida

Die zentrale These dieses Buch stimmt: Die USA bieten zu Beginn des 21. Jahrhundert ein „widersprüchliches Bild“. Gemeint ist allerdings nicht die kuriose Wahlkrimikrise in Florida, sondern die Außenpolitik der „Weltmacht ohne Gegner“. Denn die oszilliert zwischen aggressiver Frontstellung gegenüber den Vereinten Nationen, dezidiertem Führungsverzicht bei der Umweltpolitik, traditioneller Geopolitik in Zentralasien und einer Befürwortung des freien Handels, der zum ungezügelten Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zurückführt. Wohin diese Politik führen soll? Dieser Frage widmen sich 15 überwiegend jüngere Experten in diesem Band – und zwar sowohl im internationalen, ideologischen und institutionellen Kontext sowie mit Blick auf die regionalen und die globalen Herausforderungen.

Die USA sind von sich zutiefst überzeugt, zur „Weltmacht mit Vorbildfunktion“ bestimmt zu sein. Dieses Sendungsbewusstsein ist ein zentraler Bestandteil, um Amerikas Außenpolitik verstehen zu können. Für Gebhard Schweigler von der National Defense University in Washington stellen die USA ohne Zweifel eine „Ausnahmeerscheinung“ dar. Die Stabilität des politischen Systems, die austarierte Balance der Macht, sei einer der Hauptgründe für das Heranwachsen zur Supermacht. Damit dies auch für die Zukunft gilt, ist die „fortdauernde Wirkung dieses Selbstkontrollprozesses von entscheidender Bedeutung“. Ein weiteres konstituierendes Element ist der Individualismus und der damit einhergehende Glücksanspruch des Einzelnen. Den Interessen der USA kommt die Revolution in der Informationstechnologie und deren Auswirkungen auf den Prozess der Globalisierung entgegen. Können sie in deren Windschatten doch ihr ökonomisches System eines ungehemmten Kapitalismus mühelos durchsetzen. Schweigler fragt, ob ein vereintes Europa in Zukunft eine Herausforderung für die USA sei und sich langfristig als Partner abwenden könnte? Dies scheint auf Jahre hinaus unwahrscheinlich, wenn man die außenpolitische Handlungsunfähigkeit der EU samt ihrer schwindsüchtigen Euro-Währung betrachtet. Im besten Falle dürfte es ein partnerschaftlich konkurrierendes Verhältnis werden.

Neben den klassischen analytischen Parametern wie Präsident und Kongress werden etwa das Verhältnis zur EU, zu China und Russland, zur Nato und zu Afrika analysiert. Hierbei ragt die Analyse der amerikanischen Nahostpolitik durch Margret Johannsen von der Universität Hamburg heraus: Ohne das Engagement im Nahen Osten wären die Verhandlungen nicht in Gang gekommen. Sie sind für die Befriedung nicht nur mittelfristig wichtig, sondern auf unabsehbare Zeit. Neben dem überdimensionalen Einfluss der jüdischen Lobby auf die Formulierung der US-Außenpolitik sind es die amerikanischen geostrategischen Interessen im Nahen Osten, die das Handeln bestimmen. Darin gebe es keinen Unterschied zwischen einem demokratischen oder republikanischen Präsidenten. Die strategischen Ziele beziehen sich auf die Ölvorräte, die Stabilisierung der US-freundlichen Scheichtümer und auf die Bedeutung Israels als Brückenkopf des Westens in der Region, so Margret Johannsen. Von einem ehrlichen Makler in Nahost kann keine Rede sein, wie die gescheiterten Verhandlungen in Camp David gezeigt haben. Dort haben die USA, rhetorisch verpackt, israelische Verhandlungspositionen vertreten und die Palästinenser massiv unter Druck gesetzt.

Neben dieser regionalpolitischen Analyse wird im dritten Teil themenspezifisch vorgegangen. So werden die Rüstungskontroll-, die Umwelt-, die Außenhandels- sowie die Drogenpolitik und die Friedenssicherung analysiert. In einem kurzen resümierenden Ausblick konstatiert Christoph Bertram, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, dass es in Zukunft darauf ankomme, das „Interesse an enger Partnerschaft“ wach zu halten. Die entscheidende Frage sei, wie diese Anstrengung erleichtert werden könne. Bertram verweist auf die unterschiedliche Sichtweise, die zu Friktionen führen könne wie bei der Beurteilung der so genannten „Schurkenstaaten“. Auf lange Sicht werden die USA an Macht einbüßen und die Europäer an Gewicht zunehmen, denn „Hegemone haben keine dauerhafte Zukunft“. Einvernehmliches Zusammengehen liegt in beider Interesse.

Mit den vielen profunden Analysen sind in diesem Sammelband Zeichen gesetzt worden, an denen kein seriöser Wissenschaftler mehr vorbeikommen wird. LUDWIG WATZAL

Peter Rudolf/Jürgen Wilzewski( Hg.): „Weltmacht ohne Gegner. Amerikanische Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts“. Nomos, Baden-Baden 2000, 425 Seiten, 58 DM