Um Biergläser geschlungen

„neben mir an der bar sitzt in diesen nächten öfters eine . . .“: In der Berliner Anthologie „Dokumente aus Babel“ schreiben Tim Staffel, Gayle Tufts und andere Schriftsteller über die Stadt, in der sie leben

von FALKO HENNIG

An der Herstellung eines Buches sind ja immer viele Menschen beteiligt, selbst wenn man die Holzfäller, Papierhersteller und Druckfarbenmischer nicht dazurechnet. Doch die Anzahl der Beteiligten steigt noch bei Anthologien.

Eigentlich müsste das kleine Bändchen „Dokumente aus Babel, Berliner Momentaufnahmen“ in dieser Hinsicht einen gewissen Rekord halten. Neun Herausgeber danken im Impressum acht Helfern, dazu kommen 24 verschiedene Autoren. Die Lektorin dieser Anthologie, die gleichzeitig Verlegerin ist, soll ich der Einfachheit halber Nina nennen, erklärt der Waxmann Verlag, ein auf Wissenschaft spezialisiertes Unternehmen, das sich mit Belletristik ein zweites Standbein schaffen will.

Das griechische Wort „Anthologie“ bedeutet „Blütenlese“; vielleicht wäre das Prinzip noch besser als „Leipziger Allerlei“ oder „Eintopf“ beschrieben. Wobei auch das in diesem Fall noch ungenau ist; eher hat mich das Buch erinnert an Essen auf diesen früher in Kantinen üblich gewesenen Tellern, in die kleine, unterschiedliche Abteilungen eingelassen waren, damit die Soße nicht über die Kartoffeln schwappt.

Denn die Autoren dieses Bändchens vereint eigentlich nichts außer der Tätigkeit des Schreibens und der Berliner Geografie. Aber dadurch ist eben für jeden was dabei, und für die meisten sollten sich auch Neuentdeckungen machen lassen. Bekannte Autoren aus der blühenden Szene der Lese- und Vortragsbühnen wie Gayle Tufts, Wiglaf Droste, Horst Evers oder Wladimir Kaminer stehen neben den experimentellen Autoren und Dichtern Alistair Noon, Kathrin Röggla und Eric Miller, auch etablierte Buchautoren wie Tim Staffel und Annett Gröschner sind vertreten. Diese Zuweisungen sind sicher zum Teil austauschbar, aber die Mischung ergibt etwas für jeden Geschmack.

Mir persönlich hat „Das schwarze Berlinheft“ des Ungarn László Darvasi am besten gefallen, eine stimmungsvolle Kurzgeschichte über den Kampf des Autors gegen einen bevormundenden Wirt, in der mir auch eine Frage beantwortet wurde, die mich schon seit Jahren umtreibt: Wie heißen eigentlich diese kleinen, kreisrunden Servietten mit Loch und Schlitz, die um die Bierglasfüße geschlungen werden? Darvasi nennt sie so einfach wie elegant „Schaumfänger“. Auch Angelika Reitzer fiel mir auf, die einen so schönen Satz wie diesen schreiben kann: „neben mir an der bar sitzt in diesen nächten öfters eine, die genauso wie ich bemerkt haben musz, dasz diese theke durch die groszen fenster besehen ein wunderbares bühnenbild abgibt für eine rotweintrinkende frau.“

„Dokumente aus Babel, Berliner Momentaufnahmen“. Waxmann Verlag, Berlin 2000, 19,80 DM