Beschreibung eines Kampfes

„Christentum contra Menschenwürde?“ – Peter Eicher boxt Herbert Schnädelbach in der Katholischen Akademie Berlin

von DAVID LAUER

Das Publikum sieht aus wie bei großen Boxkämpfen immer: in Ehren ergraute Ehepaare mit Hut und Halstuch. Der Herausforderer, in der rechten Ecke sitzend und finster blickend, hat den Saal der Katholischen Akademie Berlin beinahe gefüllt: Herbert Schnädelbach, Philosophieprofessor an der Humboldt-Universität. Links auf dem Podium der Verteidiger: Peter Eicher, Professor für katholische Theologie und extra aus Paderborn in die Diaspora geeilt. Kein Zweifel, man hält Schnädelbach für gefährlich, denn hier geht es um die letzten Dinge – der aufgeklärte Alleszermalmer gegen den katholischen Tiger.

Wie kam es dazu? Im Mai diesen Jahres zog Schnädelbach in der Zeit eine vernichtende „kulturelle Bilanz“ des Christentums. Vernichtend nicht aufgrund der erneuten Aufzählung all jener Verbrechen, die im Namen Christi begangen wurden, sondern aufgrund der These, bei diesen Verbrechen handele es sich nicht um Abirrungen, die sich bedauern und korrigieren lassen, sondern um „Geburtsfehler“. Schnädelbach fand Intoleranz, Leib-, Frauen-, Juden- und Realitätsfeindschaft in die Identität des Christentums selbst unauslöschlich eingeschrieben. In ungewollter Nähe zu unseligen Figuren wie Bischof Dyba selig schloss Schnädelbach daher, ein tolerantes, aufgeklärtes Christentum habe seine eigene Identität bereits aufgegeben. Er empfahl die Selbstauflösung.

Die These des Adorno-Schülers, in der Geburt des Christentums sei das ganze künftige Unheil schon angelegt, klingt dabei wie eine verspätete „Dialektik des Christentums“: Es soll verantwortlich sein für die Gräuel, die sein Lehrer noch der Dialektik jener Aufklärung zuschrieb, in deren Zeichen Schnädelbach nun wieder siegen will. Während allerdings Adorno von Elend und Glanz der Aufklärung handelte, herrscht in Schnädelbachs Christentum das nackte Elend vor.

Danach gellen wochenlang schrille Schreie durch Zeit-Feuilleton und Leserbriefseite. Gut, dass die Katholische Akademie ein halbes Jahr vergehen lässt, bis sie Schnädelbach und Eicher am vergangenen Donnerstagabend zum Streitgespräch über „Christentum contra Menschenwürde?“ bittet.

Trotzdem beginnt Schnädelbach nervös und auf Angriffe lauernd, wiederholt seine These, die Idee der Menschenwürde habe dem Christentum mühsam abgetrotzt werden müssen. In schnellen, heftigen Sätzen führt Eicher eine Verteidigung, aus deren Deckung er einige kräftige Haken in Schnädelbachs historische Ungenauigkeiten platziert.

Schnädelbach bleibt bei historischen und philosophischen Argumenten. Da Eicher ihm auf diesem Gebiet ebenbürtig ist und seinerseits auf religiöses Klammern verzichtet, setzt sich im weiteren Verlauf des Abends der höfliche Ton durch, mit dem Fachkollegen sich kritisieren und möglichst beiläufig versuchen, einander mit Belesenheitsaccessoires elegant zu übertrumpfen. Die schlichte Strategie des Schnädelbach-Aufsatzes, das Neue Testament nur im Hinblick auf den Wahr/falsch-Code zu lesen und dabei zu dem Ergebnis „Alles gelogen!“ zu kommen, erweist sich dabei als witzlos. Eicher denkt nicht daran, sich an kognitive Wahrheitsansprüche zu klammern, spricht lieber von Psychoanalyse und „archaischer Symbolik“.

Gegen den mit subtilen Deutungen um ihn herumtänzelnden Theologen kann Schnädelbach mit der Brechstange nichts ausrichten. So muss er wohl oder übel eine Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis aufmachen: Er habe nicht die akademische Theologie des Christentums angreifen wollen, sondern dessen „kulturelle Wirklichkeit“. Nicht umsonst zitiert er mit Vorliebe populäre Kirchenlieder, nicht Konzilsbeschlüsse. Dass die historische Wirksamkeit des Christentums teilweise wenig segensreich gewesen ist, gibt Eicher zu. Doch die These, diese Praxis sei eben als Resultat theoretischer „Geburtsfehler“ von der christlichen Lehre gar nicht zu trennen, lässt Schnädelbach lieber stecken. Ein blaues Auge für jeden reicht.

Am Ende darf auch das Publikum sich äußern. Nur ein Einziger tut Schnädelbach den Gefallen, ihn für den Untergang des Abendlandes verantwortlich zu machen. Das amüsiert ihn, aber ein bisschen geschmeichelt ist er vielleicht doch: Ecce Herbert.