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: WLADIMIR KAMINER über Trinkanlässe

Feiern wie der Onkel

Einmal verschlug mich das Schicksal an die Spree. Dort – an der Ecke Schiffbauerdamm/Albrechtstraße – feierten die Neuberliner Bundesbeamten aus dem Rheinland in den dortigen Kneipen „Ständige Vertretung“ und „Zum kölschen Römer“ sowie in einem Hinterhof-Festzelt ihren Karneval. Immer wieder kamen lustig verkleidete Männer und Frauen aus dem Zelt an die frische Luft, kuckten sich vorsichtig um und griffen sich dann hinter einigen Mülltonnen Bierbüchsen und kleine Schnapsflaschen, die sie dort deponiert hatten. Gierig nahmen sie ein paar Schlucke zu sich – und stürzten sich dann erneut ins Getümmel, um weiter ihre sinnlose Polonaise zu tanzen und wildfremden Menschen um den Hals zu fallen.

Diese Szene erinnerte mich an meinen Onkel. Jemand, der schlau genug ist und Durst hat, findet immer einen guten Grund zum Feiern. Mein Onkel, z.B., der in einem kleinen ukrainischen Kaff arbeitete, war ein sehr lebenslustiger Mensch. Als junger Mann nahm er einmal an den großen Feierlichkeiten teil anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Dieses Fest beeindruckte ihn so tief, dass er danach nicht mehr aufhören konnte zu feiern. Immer wieder versuchte er, zum normalen Alltag zurückzukehren, allein zweimal machte er eine Entzugstherapie, aber alles war umsonst. Mein Onkel war zum Feiern geboren, so wie andere Menschen zum Arbeiten oder zum Fliegen geboren sind. Er konnte nirgendwo auf Dauer dienen, wurde stets vorfristig entlassen und gründete keine Familie. Dafür war er aber der lustigste Mensch in der ganzen Stadt und alle mochten ihn.

Er lebte zusammen mit einer dicken Katze und einem sprechenden Papagei und hatte jeden Tag ein paar wichtige Gründe zum Feiern parat. Ihm fiel immer was ein. So konnte er bei der Nachbarin anklopfen und erzählen, seine liebe Katze habe heute Geburtstag, nun sitze sie den ganzen Tag in der Ecke und sei ganz traurig, weil keiner mit Geschenken vorbeikomme. Und er sei ausgerechnet heute knapp bei Kasse. Ob die Nachbarin ihm vielleicht einen Fünfer borgen könne, damit er in der Lage sei, ein paar anständige Geschenke für seine Katze aufzutreiben?

Die Nachbarin gab ihm das Geld. Er ging sofort los und kaufte zwei Flaschen billigen moldawischen Portwein der Marke „Laubfall“, im Volksmund „V-Patron“ genannt, wegen der ungewöhnlichen Form der Flasche, die einer Bombe ähnelte. Außerdem kaufte mein Onkel noch 200 Gramm Konfekt und einen Fisch für die Katze. Sie hieß Susanna und wusste wahrscheinlich nicht mal, wann sie wirklich Geburtstag hatte, freute sich aber trotzdem jedesmal, wenn sie ein Geschenk bekam. Sie aß den Fisch, mein Onkel leerte die Flaschen, der Papagei sagte „Zum Wohl“, viel mehr konnte er nicht. Im Fernsehen spielte ein symphonisches Orchester „Bilder einer Ausstellung“. Das Leben meines Onkels war eine unablässige Abfolge von Festen, die nicht nach dem Kalender, sondern nach Lust und Laune gefeiert wurden.