Einmal im Monat

Die eine wundert sich über ihre angeschlagene Stimmungslage, die andere möchte bei jeder Gelegenheit losweinen, die Dritte lebt regelrecht auf. Die Tage vor den Tagen sind alles, nur eins nicht: alltäglich

von CORNELIA KURTH

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin . . .“ Viele Frauen, die sich ab und zu ratlos diese Frage stellen, bräuchten nur in ihren Kalender zu gucken, um Bescheid zu wissen: „Ach so, meine Tage kommen!“ Und doch erwischt es sie immer wieder ganz unvorbereitet: Traurigkeit, dumpfe Angst, ein diffuses schlechtes Gewissen, Schlafsucht oder ganz allgemein das Gefühl einer großen Melancholie. Natürlich gibt es auch die anderen, die vor und während „der Tage“ euphorisch und energiegeladen gerade heute besorgen, was sie so lange auf morgen verschoben hatten.

Weil es den Tag vor meiner Menstruation gibt, glaube ich zu wissen, wie es sein muss, verrückt zu werden. Schon beim frühen Aufwachen spüre ich, dass eine Schuld, ein Versagen auf mir lastet, irgendeine unverzeihliche Gedankenlosigkeit, an die ich mich nicht erinnere, die mich aber durch ein dumpfes Magendrücken an ihr Vorhandensein erinnert. „Was ist los, was habe ich Böses getan?“ An meinem Schreibtisch, vor meinem Computer geht mein Blick ins Leere und eine große Melancholie ergreift mich, sanft, unausweichlich, rätselhaft. Es ist so leicht, zu weinen und dabei zu lächeln über das Weinen. „Was nur, was ist passiert, dass ich heute so schwermütig bin?“

Ich wünschte, ich hätte Liebeskummer, ich wünschte, jemand wäre gestorben, ich wünschte, ich hätte einen Fehler gemacht, den ich wieder gutmachen kann, so ziellos ungerichtet ist dieses eigenartige Gefühl. So unvermutet aufgezwungen, über mein einigermaßen ausgeglichenes Wesen gestülpt. Es ist, als hätte mir jemand eine bewusstseinsverändernde Pille untergeschoben. Oder bin ich wirklich schuldig?

Ja, so muss es sein, wenn jemand einen Wahn entwickelt, weil es irgendeinen Grund in der Welt geben muss für dieses Gefühl, das aus dem Körper aufsteigt und die Psyche in Beschlag nimmt. Und dann, es ist immer dasselbe, dann war es wieder nur dieser Tag vor meiner Menstruation.

Sophia, 40, Lehrerin, ein Kind, verheiratet

Ich will nur noch schlafen, schlafen, schlafen. In meine Betthöhle kriechen und vergessen, dass ich leben muss und nicht immer einfach nur träumen kann. Meine älteste Tochter steht allein auf, ich höre sie in der Küche werkeln und denke nur: Gut so! Meine Kleine liegt bei mir im Bett und irgendwie schaffe ich es, sie mit meiner Schlafsucht anzustecken.

Eigentlich muss es immer Winter sein, wenn ich meine Regel habe, dunkel, kalt, unheimelig überall, außer in meinem Bett. Für zwei, drei Tage empfinde ich das Leben als unlebbar. Vielleicht tue ich das auch sonst, aber nur während der Regel kann ich darauf so reagieren, wie ich es zum Glück nicht jeden Tag tue.

Thea, 34, Tierärztin, verheiratet mit einem häufig abwesenden Mann, zwei Kinder

Wenn ich etwas hasse, dann sind es Schmerzen, ich habe Angst vor Schmerzen, sie sind eine unheimliche Zumutung, jeder Schmerz erinnert mich an den Tod. Aber wenn ich meine Mensis habe, dann nehme ich keine Tabletten wie sonst. Auf eine komische Weise bin ich dankbar für die leichten Kopfschmerzen, für das kleine Ziehen im Bauch. Ich sage mir: Du leidest ganz und gar ohne Schuld und deshalb darfst du jetzt den Tag verpennen und dich mit Süßigkeiten vollstopfen und dir mal wieder die gute alte Bravo reinziehen.

Auch sonst verpenne ich oft den Tag und stopfe mich mit Süßigkeiten voll und besorge mir die Bravo. Oft packt mich deshalb ein schlechtes Gewissen, am schlimmsten kurz bevor meine Mensis kommt. Und gerade, wenn es besonders schlimm ist, dann gehe ich los und hole mir meine Trostpflaster und warte darauf, dass ich unschuldig leide und mich trösten darf.

Maria, 21, Studentin, eine Abtreibung, ein Freund und diverse Lover

Einmal im Monat erwischt mich der Putzteufel, und das, obwohl ich eine fürchterliche Chaotin in Sachen Ordnung und Sauberkeit bin. Es ist dann nicht so, dass ich einfach die ganze Wohnung sauber mache, nein, äußerlich merkt kaum jemand, wie ich geschuftet habe. Ich rücke die Möbel ab und entstaube die Steckdosen. Der Kühlschrank wird abgetaut, der Backofen entfettet, oder ich räume sämtliche Küchenschubladen aus, spüle sie und ordne alles sorgfältig wieder ein.

Ich begreife gar nicht, was an so einem Tag in mich fährt, ich lache über mich selbst und fluche und schwitze. Und jedesmal wieder bin ich vollkommen überrascht, dass ich spätestens am übernächsten Tag meine Tage bekomme.

Marianne, 50, Hebamme, verheiratet, drei Kinder

Ach Gott, ich bin so traurig. Alles, alles ist traurig, eine große Welttraurigkeit. Es wäre göttlich, wenn ich drei Tage frei hätte, drei Tage, an denen mich keine Rücksichtnahme daran hindert, über jeden Film zu weinen und über jede kleine Zeitungsmeldung. Alles rührt mich an, und ich will auch, dass es mich anrührt. Obwohl ich es kaum ertragen kann, will ich todtraurig sein und jeden Anlass nutzen, um dieses Gefühl festzuhalten. Ich fühle mich als Opfer meines Geschlechts, es wäre ein Geschenk für mich, wenn man mich für aussätzig erklären würde an diesen drei Tagen. Und rundherum gelungen ist die unbewusste Inszenierung, wenn ich dabei vergesse, dass ich gerade meine Regel habe.

Inga, 40, Journalistin, zwei Kinder, verheiratet und wieder getrennt

Kurz bevor es losging, war ich immer in einer besonders guten Stimmung. Alles ging mir leicht von der Hand, das ganze Leben schien so leicht zu sein, und wenn ich Gründe zum Klagen gehabt hatte, dann waren sie verflogen, und an ihre Stelle trat das selbstgewisse Gefühl, dass alles, was ich tue und plane, richtig ist und gut. Ich liebte diese Tage vor den Tagen, ich wünschte, es sollte immer so sein. Und dann begann die Menstruation und ich dachte: Schade, ach schade, jetzt ist es vorbei.

Elisabeth, 65, sechs Kinder, verheiratet

Ich verabscheue die Menstruation, sie ist eine lästige, vollkommen sinnlose Angelegenheit, die nichts anderes für mich bedeutet, als dass ich eine Gefangene bin. Ich will niemals Kinder bekommen, ich werde immer nur Frauen lieben, und ich hasse es, jeden Monat daran erinnert zu werden, dass meine Sexualität eine Art Auflehnung ist und bleiben wird, solange ich meine Tage bekomme und wieder keine Tampons dabei habe und so ganz und gar nicht einverstanden damit bin, dass mein Körper mir auf seine Weise die Predigten meiner Eltern wiederholt: „Kind, das ist doch nicht normal, wie du lebst.“

Sabine, 23, Studentin, keine Kinder, eine Freundin

Ich beneide euch Frauen, dass ihr eine wunderbare Möglichkeit habt, drei Tage im Monat einfach Urlaub vom Leben zu nehmen. Ich wünschte, ich hätte auch auf eine so legitime Weise „meine Tage“. Ich würde gerade so viel leiden, dass man mir voll Mitgefühl den Tee ans Bett bringen müsste und kleine, leichte Mahlzeiten, wenn mir danach ist. Einige Stunden lang zöge ich mir einen Morgenmantel an, um vom Bett aufs Sofa überzuwechseln, und den ganzen Tag könnte ich Musik hören, lesen und ein paar Telefonate führen, mit leiser Stimme. Und wenn einer wagen würde zu sagen: „Stell dich nicht so an!“, dann wäre meine sanfte Antwort: „Ach du, was weißt du schon davon.“ Im Grunde verstehe ich nicht, warum ihr Frauen eure Tage nicht viel schöner zelebriert.

Tom, 19, Abiturient, hat noch niemandem gesagt, dass er Männer lieben wird

CORNELIA KURTH, geboren 1960, lebt als freie Journalistin in Rinteln