Ran an die Kunden! Aber wie?

Die Neckermanns und TUIs verdrängen die kleineren Spezialisten aus den Reisebüros. In der Reisebranche tobt auch der Kampf um die Vorherrschaft in den Regalen

Die Kooperation von kleinen und mittleren Veranstaltern als Überlebensstrategie

Klaus Gehrmann schickt seine Kunden am liebsten in die Wüste. Der Eigentümer des kleinen Kölner Spezialveranstalters EMS Tours bietet Reisen zu arabischen Zielen an und fährt gut damit. Das war nicht immer so. Mehr als die Hälfte seiner Kunden verlor Gehrmann vor rund fünf Jahren, nachdem die großen Reiseveranstalter mit ihrer Vertriebssteuerung Ernst machten. Die TUIs und Neckermanns köderten die Reisebüros mit attraktiven Provisionen. Wer seinen Umsatz mit Reisen aus dem breiten Sortiment der Großen von Jahr zu Jahr erhöhte, konnte sich über einen ansehnlichen Bonus freuen.

Für kleine Spezialanbieter kam es noch dicker. Selbst exotische Ziele und ausgefallene Trips finden sich mittlerweile in den Angeboten der Großen. Für kleine Produzenten wie Gehrmann mit seinem heute 60 Seiten umfassenden Katalog war im wahrsten Sinne des Wortes kein Platz mehr in den Regalen der Reisebüros. Dabei hatte Gehrmann auf die Reisebüros gesetzt und zuletzt rund 80 Prozent seiner damals rund 4.500 Kunden über die Agenturen gewonnen. Als Ausweg blieb ihm nur der Direktverkauf. „Heute“, sagt Gehrmann, „kommen wir mit weniger als der Hälfte der Kunden wie vor der Sortimentsbereinigung auf den gleichen Umsatz.“

In der kritischen Phase nach dem Aus in den Reisebüros setzte er darauf, dass ihm der zahlungskräfte Teil seiner Kunden treu blieb. Er weitete deshalb sein Programm um Spezialangebote aus. Reisen für Liebhaber der arabischen Pfedezucht etwa gehören heute zu dem kleinen, aber ertragsstarken Gehrmann-Programm. Doch die Wende war nicht ohne Einschnitte beim Personalbestand zu schaffen. Heute sind zwei Mitarbeiter auf Provisionsbasis für EMS tätig und verkaufen die Reisen von zu Hause oder per Besuch beim Kunden. Direktverkauf verlangt Präsenz im Internet. Doch von einer Buchbarkeit übers Netz hält Gehrmann wenig. „Zu anonym“, sagt er.

Gehrmanns Erfahrungen mit der Industrialisierung der Reisebranche und dem Kampf um die Vorherrschaft in den Reisebüros machen viele Spezialisten und kleine Veranstalter. Vor allem diejenigen Anbieter, die jahrelang auf die Reisebüros gesetzt haben, tun sich schwer gegen die Komplettanbieter und ihre Provisionssysteme, die hohe Umsätze besonders gut honorieren. Horst Kitzki, Chef von Ikarus Tours, hat immer wieder Versuche unternommen, um der Vertriebsstärke der großen Veranstalter eine Gegenmacht entgegenzustellen. Er vertreibt seine Programme zu 97 Prozent über Reisebüros. Doch wie lange bleiben sie Ikarus treu, wenn die Großveranstalter kleine Spezialisten aufkaufen und in ihre Markenfamilie aufnehmen und den Agenturen bessere Provisionen bieten können? Kitzkis jüngster Versuch für eine Marketingkooperation unter Spezialveranstaltern scheiterte. Als es darum ging, für die Initiative Geld in die Hand zu nehmen, winkten die Kollegen ab: zu teuer.

Lukrative Reisesparten wie die auch von Kitzki angebotenen Studienreisen haben das besondere Interesse der Großen geweckt. So verstärkte die TUI mit ihrer 30-Prozent-Beteiligung an dem Kieler Veranstalter Gebeco und dem Einbringen des eigenen Spezialisten Dr. Tigges den Vertriebsdruck auf die eigenen oder an die TUI gebundenen Reisebüros. Auch der Branchezweite C & N hat seine Premiummarke Terramar mit Attributen eines Studienreiseanbieters weiter aufgewertet. In der sich gerade formierenden Rewe Touristik (DER, ITS, LTU) haben Meiers Weltreisen (LTU) gute Chancen für eine Positionierung als Studienreiseanbieter.

Vielleicht hat ja Johannes Zurnieden mit seinen Bemühungen um mehr Zusammenarbeit der Mittelständler mehr Erfolg als Horst Kitzki. Der Chef des Seereisenspezialisten Phoenix Reisen aus Bonn zählt zu den Verfechtern einer engeren Kooperation von kleinen und mittelgroßen Veranstaltern. Mit einigen renommierten Mitstreitern wie Seetours, Alltours, Öger und Studiosus will er den Großen der Branche Paroli bieten. Das Projekt Quality Group wird derzeit im Stillen vorbereitet. Keines der ins Spiel gebrachten doch sehr unterschiedlichen Unternehmen möchte dazu etwas Genaueres sagen. So viel ist klar: Die Gruppe will ein gemeinsames Provisionsmodell für Reisebüros aus der Taufe heben, das es für die Mittler attraktiv macht, die einzelnen Veranstalter aus der Gruppe wie die Marken eines Konzerns zu buchen. Zurnieden hat vor allem die keinem Reisekonzern angehörenden, freien Reisebüros im Blick. Sie will er stärken und dort mit der Quality Group über attraktive Vergütungen selber zum Zuge kommen. Eine Dachmarke ist nicht geplant. Ebenso wenig wie gemeinsame Prospekte oder Roadshows.

Neben den umsatzstarken, bekannten Spezialisten sind es vor allem die soliden mittelständischen Pauschalreiseanbieter mit ihrem klassischen Warmwasser-Programm, die in das Radar der Großveranstalter gerieten. Wie in anderen Industrien auch bringen höhere Marktanteile Kostenvorteile. Da unterscheidet sich die Pauschalreise kaum von der Autoproduktion. Regionale Größen wie Fischer Reisen (Hamburg) oder Kreutzer (München) wurden von der Charterfluggesellschaft Condor aufgekauft (und im Fall Fischer mittlerweile wieder stillgelegt). Andere mussten Konkurs anmelden. So traf es die Stuttgarter Hetzel Reisen oder Unger Flugreisen in Berlin. Ob aufgekauft oder bankrott: Die Mittelständler hatten alle gemein, dass sie mit ihren Pauschalreise-Produkten gegenüber den großen Anbietern auf dem gleichen Absatzmarkt preislich nicht mithalten konnten.

Stellt man heute eine Liste der größten deutschen Reiseveranstalter auf, folgt auf die Umsatzmilliardäre TUI, C & N, Rewe Touristik und FTI nur ein schmales Mittelfeld. Eigentümergeführte Unternehmen mit bundesweiter Bekanntheit wie Alltours mit Willi Verhuven an der Spitze, oder Öger Tours, dem Vural Öger seit jeher vorsteht, werden immer seltener.

Was kaum eine Statistik erfasst: Ungebrochen ist der Trend, ein Geschäft als kleiner Reiseveranstalter aufzuziehen. Sie halten sich von der Industrieware Zwei-Wochen-Mallorca fern und spezialisieren sich auf wenige Länder oder exotische Reisearten. Die Kleinen fungieren als Trendscouts für die gesamte Branche, stoßen neue Reiseformen und Ziele an, die später von den Großen kopiert werden. Ohne die Vorarbeit der Spezialisten hätten Ziele wie Südafrika, Kuba oder Jamaika im deutschen Markt kaum eine Rolle gespielt.

Gerade bei den noch jungen Unternehmen fällt auf: Sie lassen von vornherein die Finger vom Vertrieb über Reisebüros. Die direkte Ansprache der Kunden ist das A und O. Mund-zu-Mund-Propaganda heißt das eigentliche Vertriebskonzept. Wem es gelingt, durch geschickte Schlagwortauswahl bei den einschlägigen Suchmaschinen im Internet vorne auf der Trefferliste zu landen, hat es fast schon geschafft. MICHAEL KRANE