kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Rhönradturnen

Irgendwie gab es mal Ansätze einer medialen Rhönrad-Sozialisation. Bevor Action- und Extremsportarten die neuen Sportsender überfluteten, fiel das Rhönrad mit seinem Durchmesser bis zu 2,40 Meter immerhin als kreiselnder Exot auf. In den Achtzigern präsentierte es der noch nicht degenerierte Michael Schanze gewissenhaft in „1, 2 oder 3“. Im ZDF-Ferienprogramm wirkte es einmal versöhnlich kontrastiv zum unsäglichen Origami-Papierfalten.

Auch in der „Sportschau“ errollte sich das kreisrunde Objekt nicht häufig, aber regelmäßig seinen Sendeplatz. Die heutige postmoderne Sportbeliebigkeit verbannt die Stahlräder jedoch auf das Abstellgleis. Dort verrosten sie als Seminararbeit, wie zum Beispiel in Ralf Buckwitz’ „Biomechanische Analyse der großen Spirale beim Rhönradturnen“ an der Humboldt-Universität.

Imaginäre Trendsport-Wachanstalten geißeln es als überdimensionales Hamsterrad in muffigen Turnhallen. Sie raten stattdessen, sich von einer rotbulligen Energy-Drink-Firma in eine Stahlgitterkugel einzuschweißen, um darin Abhänge hinunterzurollen.

„Meistens wird das Rhönrad zum Showelement und zur Pauseneinlage reduziert“, meint Elfriede Jaeckel vom Berliner SC Siemensstadt. „Gegen die Trendsportarten wie Inline-Skating ziehen wir immer den Kürzeren.“ Die bekommt der kurz entschlossene Youngster auch an jeder Ecke, für luftschlauchlose Räder braucht es schon einen längeren Weg: Die gibt es nur bei Oswald Zimmermann im Rhönrad-Mekka Taunusstein-Bleidenstadt.

Dass Verona Feldbusch als Vorzeige-Rhönradlerin herhalten muss, nur weil sie mal in Hamburg beim SV Lurup einige Drehwürmer produzierte, finden die Aktiven verächtlich. Auch die Anpreisung eines aufblasbaren Kinder-Rhönrades in einer TV-Dauerwerbesendung funktioniert nicht. 1995 war man sich nicht sicher, ob es wirbt oder verfälscht, als es bei „Wetten dass...“ gelang, im Angesicht der Wettpaten Bud Spencer und Terence Hill drei Personen in einem Rhönrad in drei Minuten über 464 Milchflaschen rollen zu lassen.

Glaubt man dem Leistungsprinzip, wäre es sinnvoll zu erwähnen, dass das deutsche Rhönradteam bei der letzten Weltmeisterschaft 1999 in Limburg an der Lahn unglaublich erfolgreich war: Es gewann alle möglichen achtzehn Goldmedaillen im Geradeturnen, Spiraleturnen und Sprung.

„Die Laien denken, man kullert da eben mal so rum“, erklärt Elfriede Jaeckel, „dabei erfordern die vielfältigen Übungen eine ausgeprägte Körperbeherrschung mit Sinn für Gleichgewicht und Gewichtsverlagerungen.“

Das Rhönrad könnte mehr sein als nur das geringste Übel im Turnsport. Entgegen turnväterlicher Deutschtümelei denkt der französische Lyriker Jean-Luc Dadache dabei sogar an „ewig gewordenes Radschlagen, das Leben beschwingt bejahend“.

Und wer sich jetzt herausreden will, dass es keine Gelegenheit gibt, mal reinzuschnuppern, der irrt: Erst vorgestern rollte ein einsames Rhönrad durch die Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg, bei der Gala des Deutschen Turner-Bundes. Rollend, wirbelnd, in eine Spirale übergehend glitt es lautlos durch den Raum, um plötzlich seine Schwere zu verlieren und still wie auf einer Spitze zu stehen.

GERD DEMBOWSKI

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 4 Punkte