Im Gelobten Land der Rechten

Orania: Der Traum vom Afrikaandertum, sagen die Weißen. Ein Anachronismus, sagen die Schwarzen

aus Orania KORDULA DOERFLER

Morgens um sieben herrscht tiefe Stille im gelobten Land. Auf den breiten Straßen von Orania ist kaum ein Mensch zu sehen. „Unsere eigene Arbeit macht uns frei“ leuchtet auf einem weißen Transparent quer über der Straße. Die ersten Arbeiter kommen zum Dienst, um auf den Feldern zu schuften und struppige Grünflächen vom Unkraut zu befreien. Wohlgefällig liegt der Blick von Petrus Meyer* auf ihnen. Sie sind seinesgleichen. Sie sind weiß. Wie alle hier.

Seit knapp drei Jahren wohnt der Rentner in Orania. Er floh vor dem „Sodom und Gomorrha“, das in Südafrika Einzug gehalten hat. Nicht aber hier. Hier leben gottesfürchtige, meist verheiratete Menschen, die schwer arbeiten. Schwarze werden in der burischen Mustersiedlung im Nirgendwo nicht geduldet. Die knapp 600 Bewohner sind auch sechs Jahre nach dem Fall der Apartheid blütenweiß und regieren sich bislang selbst. Das aber soll sich ändern. Zum Schrecken der weißen Siedler hat der ANC nun, zu den zweiten demokratischen Kommunalwahlen, die Gemeindegrenzen neu geschnitten.

Orania, die Kernzelle eines burischen „Volksstaates“, soll künftig zu den Städtchen Hopetown und Strydenburg gehören. In beiden ist, wie überall in Südafrika, die nichtweiße Bevölkerung in der Mehrheit. Der Kreis Oranje wird künftig, das steht fest, einen nichtweißen Bürgermeister haben – mit hoher Wahrscheinlichkeit einen coloured, einen Mischling. Dagegen haben die Oranier Klage eingelegt. Die heutige Wahl boykottieren sie, tragen aus Protest ihre Nationalfarbe Orange.

„Die Regierung hat uns betrogen“, sagt Carel Boshoff der Ältere (73). „Sie hat uns zwar Selbstbestimmung versprochen, aber tatsächlich reden und reden wir, und nichts passiert.“ Stolz sitzt der alte Mann zu Füßen der Statue des Mannes, der sein geistiger Ziehvater war und dessen Witwe Betsie bis zu ihrem Tod in Orania gelebt hat: Hendrik Verwoerd, Architekt der Apartheid und einst Premier im Unrechtsstaat. In Orania schwer veehrt.

Der Blick vom Denkmalshügel, hinunter auf eine grüne Oase mitten in der kargen Karoo, ist atemberaubend schön. Auf knapp 4.000 Hektar Land wurden Häuser renoviert, Geschäfte eröffnet, kleine Betriebe und Schulen gegründet, wurde Landwirtschaft aufgebaut. Dazu gehört auch eine Molkerei im Wert von fast 3 Millionen Franken. In langen Reihen wachsen kleine Pekannussbäume auf dem harten Boden, die Hoffnung auf künftigen Reichtum.

Seit Jahrhunderten träumen die Buren von nationaler und kultureller Selbstbestimmung mitten in Afrika und entwickelten daraus: Apartheid. Die fiel zwar 1994, doch die militante Rechte drohte dem Land mit Bürgerkrieg. Um sie zu befrieden, wurde das Recht auf Selbstbestimmung sogar in der Verfassung festgeschrieben. Was im Vielvölkerstaat Südafrika damit genau gemeint ist, ließ man wohlweislich offen.

Für den ehemaligen Theologieprofessor und Provinzvorsitzenden der rechten „Freiheitsfront“, Boshoff, allerdings besteht kein Zweifel: Am Ende muss ein autonomer Staat im Staate stehen. Gern sieht man sich in Orania, dem gelobten Land der Buren, Seit’ an Seit’ mit den Israelis oder neuerdings auch den Palästinensern. Der Weißhaarige ist einer der Vordenker eines unabhängigen „Volksstaates“. 1991, mitten in der Übergangszeit zu einem demokratischen und von der schwarzen Mehrheit regierten Südafrika, kaufte Boshoff die verlassene ehemalige Arbeitersiedlung. „Wir haben eine Geisterstadt wiederaufgebaut“, schwärmt der kalvinistische Theologe. Das stimmt.

„Das Leben hier ist einfach sicherer, vor allem für unsere Kinder“, sagt Willem Berger (37). Erst vor vier Wochen kamen die Bergers hier an. Jetzt versucht Vater Berger, das dürre Gras in seinem Garten in saftig grünen Rasen zu verwandeln – mit Dünger. Seine beiden kleinen Töchter rennen barfuß im Staub herum, wie alle Kinder in Orania. Draußen, in Südafrika, ist das zumindest in den großen Städten wegen der hohen Kriminalität kaum noch möglich. „Der ganze Lebensstil hier sagt uns sehr zu“, sagt Berger und lächelt zufrieden.

Orania ein Paradies? Von wegen: Leben unter widrigsten Bedingungen in der menschenleeren Provinz Nordkap, in der Halbwüste Karoo, mit heißen, trockenen Sommern und staubigen, eiskalten Wintern. Einzige Vergnügung ist der obligatorische Kirchgang. Der nächste Ort, Hopetown, 40 Kilometer entfernt, ist auch nur ein verschlafenes Provinznest. Dass die Buren hier überhaupt siedeln können, verdanken sie dem nahen Fluss Oranje – der sorgt für Trinkwasser und fruchtbare Felder – und einem juristischen Kniff. Bis heute wird das Dorf als private Firma betrieben und unterliegt damit ganz anderen Gesetzen. Zwar wurde es 1995 vom Staat auch zur Gemeinde erklärt, musste neben dem Aufsichtsrat der „Orania Bestuurdienste“ ein Gemeinderat und ein Bürgermeister „gewählt“ werden. Reine Formsache. Beide Gremien sind eng miteinander verquickt und entscheiden sowohl über die Finanzen als auch über die Neuaufnahme von Mitgliedern.

In Frage kommt nur, wer Afrikaans als Muttersprache spricht – und weiß ist. „Ein Oranier zu werden, bedeutet aber mehr“, sagt Arthur Naudé, derzeit Vorsitzender des Aufsichtsrats. „Wir prüfen auch, wie jemand zur Ideologie des Volksstaates steht.“ Zudem muss der Kandidat entweder genug Geld haben oder eine gute Geschäftsidee.

Wie die neue Sargfabrik zum Beispiel. Mehr als 600 Särge werden hier monatlich hergestellt und überwiegend nach Botswana und Simbabwe verkauft, dort, wo eine ganze Generation an Aids stirbt. Solch Pioniergeist wird belohnt mit günstigen Steuern, Mieten und Immobilienpreisen.

Ein ideales Umfeld auch für den jungen Architekten Christiaan van Zyl. Er baut in Orania ein ausgefallenes Strohhaus, das er sonst nirgends hätte verwirklichen können. „Wenn man hier hereinkommt, spürt man die Seele des Materials“, flüstert der verträumte Mann, den ökologische Architektur weit mehr interessiert als der „Volksstaat“. Die Väter des Orts hoffen, mit Strohhäusern langfristig die akute Wohnungsnot beheben zu können.

Der erwartete Ansturm von Afrikaandern, den weißen Afrikanern, ist indes ausgeblieben. Obwohl es in Südafrika mehr als 2,5 Millionen Buren gibt, leben im „Volksstaat“ bis heute knapp 600 Menschen, Kinder eingeschlossen. Selbst weiße Farmer lächeln mitleidig über die verschrobenen Nachbarn. Und die, die nicht weiß sind? „Orania ist ein Anachronismus im demokratischen Südafrika“, sagt Ernest Saayman, der – selbstverständlich nichtweiße – junge Bürgermeister von Hopetown.

Orania, das weiße Utopia im schwarzen Meer? Auch nach fast zehn Jahren trägt der Ort sichtbare Spuren der Verwahrlosung, die billigen Plattenbauten atmen die Tristesse des real existierenden Sozialismus. Uralte Autowracks stehen in baufälligen Garagen, Gärten sind noch immer dürr und von Unkraut überwuchert. Dazu kommt totale soziale Kontrolle. Über der heilen Welt lastet die beklemmende, fast klaustrophobische Atmosphäre des alten Apartheid-Staates.

„Der Volksstaat hat mit Apartheid nichts zu tun“, beteuert Carel Boshoff junior, auch Carel IV. genannt. „Das ist eine ganz neue Idee, eine Post-Apartheid-Idee, die nur auf unserer eigenen Arbeit gründet.“ In seinem bis unter die Decke mit Büchern voll gestopften Arbeitszimmer träumt der langhaarige promovierte Philosoph von einer „Neudefinierung des Afrikaandertums“. Zumindest ihm mag man glauben, dass er vielleicht kein Rassist ist. Andere im Ort sprechen von den „Hotnots“, den dummen Hottentotten, und Schlimmerem.

Auf deren hilfreiche Hände verzichten zu müssen ist indessen hart. Bis heute erledigen Schwarze in Südafrika überall die grobe Arbeit, auch den Hausbau. Zwar sind die Oranier stolz darauf, über modernste Technologie zu verfügen. Gleichzeitig fehlt es ihnen aber nach Jahrhunderten kolonialer Ausbeutung an Kenntnissen, wie man einen Ziegel auf den anderen setzt.

Während im besseren, ehemals weißen Teil die Burenaristokratie residiert, lebt in der ehemaligen Township die neue Klasse der armen Weißen. Dazu gehören auch ungelernte junge Männer um die 20, die am Tag kaum 15 Franken bezahlt bekommen. Die Akademiker vom Schlage Boshoffs und van Zyls, die sich für Ökologie und Globalisierung interessieren, trennen Welten von den schmerbäuchigen, sonnenverbrannten Nationalisten alten Schlags.

Geeint werden die Oranier nur von einem: dem missionarischen Drang nach einem eigenen Staat. Dafür kämpfen sie seit Jahrhunderten, dafür wollen sie weiterkämpfen. Wie? „Wir werden uns zu wehren wissen“, sagt Petrus Meyer. Er lächelt vielsagend.

* Name geändert