die stimme der kritik
: betr.: Weihnachtszeit, Kokszeit

Symbolisch radikal ins Nichts laufen

Weihnachtszeit, schöne Zeit. Versöhnlich stimmte auch ein Interview, das die Schlagersängerin Marianne Rosenberg anlässlich der letzten Ausgabe der so genannten Hitparade der Süddeutschen Zeitung gegeben hatte. Sie sprach über den Moderator Dieter Thomas Heck, der sozusagen den berühmten Versicherungsvertreter Herrn Kaiser präfigurierte, der seinerseits auf der Ebene unterirdisch-unbewusster Ströme auch Elemente des Helden aus Kafkas „Prozess“ in sich trägt, wie ich finde – dies sisyphisch-verkitschte Gefühl unendlich süßer Weihnachtsgebäcksvergeblichkeit, das einen anweht, wenn man aus der Tür tritt, und da steht er dann: Tag für Tag, immer frisch gebügelt und „Ach, Herr Kaiser“, „Hallo, Herr Kaiser“, und man hat keinerlei Versicherungen, weil sterben muss man ja eh, und da helfen keine kalten Umschläge! Über Dieter Th. Heck also sagte die Chanteuse: „Er ist ein höflicher, netter Mann. [. . .] Ich glaube, seine größte Neuerung bestand darin, die Künstler brüllend anzusagen.“

Mit Juliane Werding ist Marianne Rosenberg „in den Pausen immer Pommes essen gegangen“, und Ricky Shane, ein paillettierter Schlagerstar aus den 70ern, der in seinem einzigen Hit, „Mamy Blue“, kunstvoll Heintjes „Mama“ und John Lennons „Mother“ zusammengebracht hatte, sei der „Gelassenste von allen“ gewesen. „Der lag bekifft auf einer Bank und ließ das alles an sich vorbeiziehen.“ Ein schöner Zug! Eher abgedreht dagegen gab sich der Landesverband Niedersachsen der Grünen, der kleine Portionen mit der Aufschrift „Vorsicht, Koks!“, mit weihnachtlichen Grüßen versehen, „an sich selbst“ (!) und ihre AbgeordnetenkollegInnen verschickt hatte. „Jeweils nur eine kleine Menge für den Eigenbedarf“ habe auf den Päckchen mit schwefelarmer Kokskohle gestanden und: „Wir möchten damit die Stimmung im Parlament anheizen. Und wenn sich die Abgeordneten bis in die Haarspitzen motiviert fühlen, wird bestimmt auch den Wählern warm ums Herz, und es kann Weihnachten werden.“

Mit irgendeiner politischen Forderung war die radikal ins Nichts laufende Brachialsymbolik nicht vernüpft. Sie sollte nur an den „ersten und hoffentlich einzigen Koksskandal im niedersächsischen Landtag“ erinnern. Ach je. Wie war das schön in den alten Zeiten, in denen die Grünen Besen aufzustellen pflegten, die dann auch gewählt wurden. Und: Wer meint, in den Toiletten unserer Politiker werde oft Koks „verfeuert“, guckt übrigens zu wenig Fernsehen. DETLEF KUHLBRODT