Bald gilt: Pokern statt Handeln

Die Bundesregierung will heute das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung aus den Jahren 1932/33 streichen. Während sich die einen auf niedrige Preise und mehr Freiheit bei der Kundenwerbung freuen, befürchten andere einen ruinösen Wettbewerb

Einzelhändler warnen vor Verbrauchertäuschung: Weil Rabatte und Zugaben oft nicht erkennbar sind, werden Preisvergleiche künftig erschwert

von HERMANNUS PFEIFFER

Deutschland steht am Rande einer Preisrevolution. Die Bundesregierung will am heutigen Mittwoch beschließen, das alte Rabattgesetz aus dem Jahr 1933 ersatzlos zu streichen. Händler können dann ihren Kunden einen Preisnachlass von mehr als drei Prozent geben, und die Käufer können frei über den Preis von Brötchen, Rindfleisch oder Autos verhandeln.

Für den deutschen Einzelhandel mit seinen rund 375.000 Unternehmen bedeutet der Wegfall des Rabattgesetzes ebenso wie für die Verbraucher einen Umsturz von Gewohnheiten. Kaufhäuser wie Karstadt, Großhändler wie Metro oder Handelsketten wie Edeka können ihren Kunden künftig mehr persönliche Rabatte einräumen. Waren bisher bei Kundenkarten nur kleine Nachlässe möglich, können künftig auch jenseits von Sonderaktionen jederzeit zwei Parfüms zum Preis von einem verkauft oder Mitgliedern von hauseigenen Clubs exklusive Superpreise geboten werden.

Das Rabattgesetz gilt seit dem 25. November 1933. Noch ein Jahr älter ist die Zugabeverordnung, die es Händlern untersagt, beim Kauf eines Produktes zusätzliche Leistungen zu bieten. Gesetz und Verordnung sollten vor scheinbar günstigen, aber am Ende überteuerten Käufen schützen.

Wenn sie ersatzlos wegfallen, so befürchten die Inhaber von Läden und kleinen Geschäften, spitze das den Wettbewerb auf ruinöse Weise zu. Ähnliche Probleme sehen Branchen wie die Automobilindustrie, die bislang Einheitspreise für Großabnehmer haben. Der Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE) warnt davor, der „Verbrauchertäuschung Tür und Tor zu öffnen“. Weil Zugaben und Rabatte kaum noch zu erkennen seien, wären Preisvergleiche unmöglich. Das Rabattgesetz könne „moderat modernisiert“ werden, Grundregeln seien aber nötig. Die Einzelhändler wollen dazu gemeinsam mit dem Handwerk einen Vorschlag vorlegen.

Was vor allem überrascht, ist das plötzliche Tempo der Bundesregierung. Im Internetauftritt des Justizministeriums fehlte noch gestern der Gesetzentwurf. Zwar steht das Rabattgesetz schon seit Anfang des Jahres auf der Abschussliste, aber selbst die Wirtschaft hatte auf eine längere Übergangszeit gehofft – laut Zeitplan der Bundesregierung soll es bereits im kommenden Frühjahr abgeschafft sein.

Unzufrieden ist auch die Gewerkschaft HBV. Viele Händler seien ohnehin bereits durch Überkapazitäten bedroht. Auch die Kunden dürften unterschiedlich erfreut sein: „Feilschen ist nicht jedermanns Sache.“

Die federführende Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller begründen die kleine Revolution mit der E-Commerce-Richtlinie der Europäischen Union, die kürzlich in Kraft getreten ist. Danach gelten für Rabatte beim elektronischen Einkauf die Vorschriften des Heimatlandes – und in den meisten EU-Ländern sind Rabattgrenzen unbekannt. So könnten ausländische Internet-Firmen deutsche Kunden mit Nachlässen locken, während die deutschen an ihr Rabattgesetz gebunden wären. Bislang macht E-Commerce allerdings nur einen winzigen Teil des Handels aus. Trotzdem wird erwartet, dass der Bundestag dem Entwurf zustimmt.

Erfreut zeigt sich das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. „Das Rabattgesetz ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Chefvolkswirt Rolf Kroker. Man habe zwar die Auswirkungen noch nicht im Detail durchgerechnet, aber „mehr Wettbewerb sei gut für die Verbraucher“, weil er niedrigere Preise bedeute.

Dagegen hofft Michael Ceyp von der Hamburger Unternehmensberatung Rapp Collins, dass diese ruinöse Preisspirale ausbleibt. Er würde lieber auf Dialog setzen: Kunden sollen nicht mit Dumpingpreisen gebunden werden, sondern über „intelligentes Marketing“. Darunter versteht man so genannte geschlossene Systeme, die Kunden über Clubs, Karten oder direkte Ansprache etwa per Geburtstagsmail halten sollen. Ein Wegfall des Rabattgesetzes dürfte diese feste Kundenbindung wesentlich erleichtern.