Vom St. Pauli- zum Fußballfan

■ Am Millerntor nehmen dumme Sprüche überhand. Gestern demonstrierten die Fans

Es gibt Dinge, die sollte man erst nach dem zweiten, dritten Date offenbaren: Dass man die Ex-Freundin nicht überwunden oder dass man die jetzige verschwiegen hat, zum Beispiel. Auch das Eingeständnis, Fußballfan zu sein, ist problematisch. Zu massiv können die negativen Assoziationen – hoher Alkohol-, niedriger IQ-Pegel – ausfallen.

Als St. Pauli-Fan hat man es da etwas leichter: Im Bermudadreieck Schanze – Kiez – Altona gilt die Millerntor-Dauerkarte als Ausweis beziehungkompatiblen Verhaltens, sein Besitzer als weltoffen, (selbst-)ironiebegabt und mit einem „anti“ vor allen „Ismen“ dieser Welt ausgestattet.

Doch die Realität sieht anders aus. Längst werden Schiedsrichter als „Schwuchtel“ oder „Asylanten“ bezeichnet, weibliche Fans beklagen sich über sexistische Kommentare. Und die, oft im wahrsten Sinne des Wortes, breite Masse schaut pikiert weg oder bleibt angewidert zu Hause.

Immerhin: Beim gestrigen Heimspiel gegen Nürnberg (Ergebnis stand bei Redaktionsschluß nicht fest) regte sich erstmals organisierter Widerstand gegen die schleichende Metamorphose vom St. Pauli- zum Fußballfan. Unterstützt von den Fanladen und -clubs, den Fanzines, der Stadionzeitung pauli AFM, AGiM, und etlichen anderen Organisationen wurden unter dem Motto „St. Pauli-Fans sind anders! Tatsächlich?“ 13.000 Flugblätter verteilt. In der Halbzeit präsentierten Ersatzspieler und Fans ein Transparent „Fotze, Schwuchtel, Neger? Gegen Rassismus und Sexismus“. Und zum Heimspiel am Sonntag (15 Uhr) gegen Ahlen erscheint pauli mit acht Sonderseiten. Mit diesen Aktionen sollen die „korrekten“ Fans ermutigt werden, bei verbalen Exzessen einzuschreiten. Schließlich ermöglcht es ein Passus in der Stadionordnung, notorische Hohlköpfe mit Stadionverbot zu belegen.

Bereits die Ankündigung einer Gegenwehr hat allerdings eine Wende zum Besseren bewirkt: Bei den letzten beiden Heimspielen wurden aus der ton- (und oft misston-) angebenden „Singing Area“ keinerlei IQ-freien Parolen gegröhlt. Kein Wunder, dass mancher Unterstützer der Aktion bereits zu Wochenbeginn von positiven Reaktionen aus dem Freundeskreis zu berichten wußte. Tenor: „Wurde höchste Zeit“. Zumindest, wenn der Totenkopf-Pulli im Stadtteil weiterhin als Flirt-Accesoire durchgehen soll. ruf