Minimalismus als Erfolgsrezept

George W. Bush ist nicht als visionärer Denker bekannt. Auch an Details ist er nicht besonders interessiert. Darum müssen sich andere kümmern

Für ihn war das Leben „ein langer Sonntag“, und er wird ein Land regieren, dessen Werktag immer länger wird

aus Washington PETER TAUTFEST

Bekanntlich wiederholt sich jedes historische Ereignis zuerst als Tragödie und dann noch mal als Farce. War Ronald Reagan die Tragödie, so ist Bush die burleske Variante. Ronald Reagan, der, weil er mal aufgeschnappt hatte, dass Bäume Kohlenstoff abgeben, glaubte, dass sie die Umwelt stärker belasten als Autos, lebte in der einfachen Welt des Kalten Krieges, in der es genügte, Gut und Böse zu unterscheiden – und die USA waren natürlich gut.

So einfach ist die Welt nicht mehr. George W. Bush, der glaubt, „dass nicht Emissionen unserer Umwelt schaden, sondern Unreinheiten der Luft und des Wassers“, scheint das nicht zu wissen – oder sich dafür nicht zu interessieren: „Ich hoffe, unsere europäischen Freunde werden in Bosnien die Friedenstruppen stellen. Ich hoffe, dass sie Truppen auf den Balkan verlegen, damit wir die unsrigen abziehen und uns darauf konzentrieren können, Kriege zu führen und zu gewinnen.“ Entweder hat noch niemand Bush gesagt, dass 85 Prozent der Friedenstruppen in Bosnien und Kosovo europäische Soldaten sind, oder Bush interessiert sich für derartige Details nicht. Aber „morgen wird die Zukunft besser sein“, wie Präsident Bush einmal gesagt hat.

George W. Bush ist nicht als kühner Denker bekannt, und Visionen sind seine Sache nicht. Intellektuelle Brillanz ist ihm nicht eigen, und seine Pläne sind eigentlich bescheiden. Doch in Texas war Minimalismus sein Erfolgsrezept. Auf seiner Siegesansprache hakte er noch einmal das halbe Dutzend Punkte ab, die ihm wichtig sind und für die seine Regierung stehen wird: bessere Schulen, Renten-, Krankenkassen-, Steuer- und Schulreform, eine Sozialpolitik, die der Privatinitiative mehr Raum gibt, und eine Stärkung des Militärs. Das klingt bescheiden und nach Wenig.

Doch an der Schaffung eines gesamtnationalen Krankenversicherungssystems hat sich schon Roosevelt die Zähne ausgebissen, und Clinton ist daran gescheitert. Die Einführung der Rente war ein Kraftakt von Präsident Johnson, und Bush hat von keinem seiner Vorgänger das Detailwissen oder die Statur. Dafür hat er wie Clinton ein „Händchen für Leute“, und seine Stärke soll das Delegieren sein. „Hands off Management“, sagt man dazu in seinen Kreisen: Der Präsident gibt die großen Linien vor, bringt die Leute zusammen und lässt dann seine Beauftragten machen.

Bushs Bedürfnisse und sein Regierungsstil werden zu einer bisher in den USA unbekannten Arbeitsteilung führen: Bush wird Präsident und Cheney sein Premierminister – der arme Mann. Einem Herzinfarkt knapp entronnen, wird er wie ein Weberschiffchen zwischen Weißem Haus und Kongress hin- und hereilen müssen, um in der Pattsituation des Senats die entscheidende Stimme abzugeben, und dabei soll er noch regieren.

Mit George W. Bush gelangt jemand ins Weiße Haus, der anders als Bill Clinton oder Al Gore und anders selbst als sein Vater, aber ähnlich wie Ronald Reagan, nie die reale Welt gesehen und kennen gelernt hat. Aus dem heimatlichen Texas ist er während seines Studiums und während des Wahlkampfs herausgekommen. Sonst ist sein Weltbild geprägt von dem Charme der südlichen Hauptstadt Austin. Keine Firma und kein Arbeitgeber würden einen Mann mit einem solch dünnen Lebenslauf einstellen. Bush kennt keine Armut und hat sein Lebtag noch nie gearbeitet. Vitamin B hat sein Leben bestimmt. Er hat anderer Leute Geld ins Ölgeschäft gesteckt, als da schon nichts mehr zu holen war, und ließ sich kurz vor dem Ruin von Geldgebern wieder auskaufen.

Er hat eine Weile eine Baseballmannschaft besessen, die er mit anderer Leute Geld gekauft hat, und hat dann seinen Anteil mit hoher Rendite wieder verkauft. Er hat im Bundesstaat Texas ein Amt bekleidet, das weit gehend repräsentativ ist, und eine Durchsicht seiner Terminkalender zeigt, dass er am liebsten mit Besucherdelegationen auf den Stufen des texanischen Landtags in Austin posiert. Für ihn war das Leben, um mit Georg Büchner zu sprechen, „ein langer Sonntag“, und er wird jetzt ein Land regieren, dessen Werktag immer länger wird.

Da Bush vom Leben und den realen Sorgen der Menschen nicht viel und vom Regieren eher weniger versteht, umgibt er sich mit Leuten. Doch wen Bush in dem zwei Jahre und 36 Tage währenden Wahlkampf um sich versammelte, lässt nichts Gutes ahnen. Seine Ratgeber sind die Apparatschiks seines Vaters: Richard Cheney, James Baker, Condoleezza Rice, Colin Powell, Andrew Card. Nicht eine dieser Personen hat politische oder intellektuelle Statur oder eine Vision.

Hand aufs Herz: Erinnerte sich vor seiner Ernennung zum Vize noch irgendjemand an Richard Cheney? Wer wusste noch, dass er es war, der den Golfkrieg gemanagt hat? Das Erbe dieses unerledigten Kriegs wird seine Regierung heimsuchen, worin immerhin eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit besteht.

Dass Colin Powell den Golfkrieg eigentlich gar nicht führen wollte und strikt gegen das Eingreifen der USA in den Balkan war, dass er ein uninspirierter Befehlsempfänger und nicht mehr als ein braver Soldat war, konnte man glatt über der Heldenaura vergessen, die ihn seit dem Golfkrieg umgibt. Und James Baker? Ja gut, er war Außenminister. Aber hauptsächlich war er Wahlkampfleiter von Bushs Vater. Andrew Card, der Bushs Stabschef im Weißen Haus werden soll, redet im Brustton der Überzeugung in solch vorgestanzten Parolen, die einen sozialistischen Funktionär vor Neid erblassen lassen würden. Diese Gruppe von Politikastern ohne Ziel sind in Bushs Regierung die „Erwachsenen“.

Der Kontrast zwischen einem Mann, der wie Richard Cheney nicht mal Zeit hat, seinen Herzinfarkt auszukurieren, und einem sorgenfreien Bush, der während der vergangenen Wochen sich die Zeit in erster Linie damit vertrieb, zwischen seiner „Ranch“ und der texanischen Hauptstadt hin- und herzufahren, hebt das Jugendliche des Kandidaten hervor. Doch was soll jugendlich sein an einem 54-jährigen Mann? Das Jungenhafte seines Auftretens, seiner flapsigen Sprüche und seines dick aufgetragenen texanischen Dialekts sind Markenzeichen eines Mannes, der nie erwachsen geworden ist und der die Präsidentschaft gesucht hat, weil er glaubt, sie stehe ihm als Erbe George Bushs I zu, und weil er sonst nicht gewusst hätte, was er mit seinem Leben anfangen soll.