Mittler zwischen den Welten

Das „Charles Curtis-Trio“ spielt heute zum vorerst letzten Mal hybriden Space-Rock  ■ Von Andi Schoon

Über Charles Curtis wurde schon viel geschrieben – auch auf diesen Seiten. Das liegt an dem genreübergreifenden Ansatz des gebürtigen Kaliforniers. Als Curtis Ende der 80er für den Job als Solo-Cellist beim NDR-Orchester nach Hamburg kam, hatte er einen bewegten Werdegang in unterschiedlichen New Yorker Welten hinter sich. In die Zeit der akademischen Musik-Ausbildung dieser Jahre fiel die Begegnung mit dem Komponisten La Monte Young. Young arbeitete seit den 60ern an Kompositionen von statischem Zustand und theoretisch endloser Dauer. Beeinflusst wurde er dabei durch fernöstliche, besonders durch indische Musik. Curtis begab sich in die weltanschauliche und musikalische Obhut La Monte Youngs und wirkte fortan bei dessen Aufführungen mit. Nach seinem Weggang aus New York wurde Curtis, neben seiner professionellen Tätigkeit als Orchestermusiker, der legitime Vertreter von Youngs Musik in Europa.

Und es gibt noch ein drittes musikalisches Element in Curtis' Vita, und zwar den Sound, mit dem er in den 60ern und 70ern aufgewachsen ist: Rockmusik. – Da wird es nun wirklich haarig, denn solche, traditionell als westlich verstandene Musik unterscheidet sich von der fernöstlichen nicht nur an der Klang-Oberfläche. Die beiden trennt mit dem Zeit-Bewusstsein auch ein grundsätzlicher philosophischer Sachverhalt. Der Glaube an eine wiederkehrende Zeit wirkt sich beispielsweise in indischer Musik in Form von Strukturen ohne Anfang und Ende aus. Westliche Musik ist dagegen vom Gedanken einer irreversibel fortschreitenden Zeit geprägt. Dieses Denken äußert sich in der finalen musikalischen Form. Und die hat sich von der abendländischen Kunst-Musik auch in den Rocksong gerettet: Nach dreieinhalb Minuten ist normalerweise alles vorbei.

Dass Curtis aber inzwischen zwei Jahrzehnte Übung im Jonglieren mit solchen Verschiedenheiten hat, zeigt sich in der Arbeit mit seinem Trio. Hier wird an einer sanften Fusion der divergierenden Elemente aus finalem Rocksong und verlaufslosem Minimalismus gearbeitet. Auf der einen Seite steht die Band mit Gitarre, Bass und Schlagzeug. Sie spielt bedachte, von Velvet Undergound beeinflusste Musik, die einem aufgrund ihrer Subtilität erst einmal ein bisschen unspektakulär vorkommen könnte.

Jedem der Stücke liegt ein gleichbleibender Sinuston zugrunde, der durch die Modulationen der Band umgedeutet wird. Dazu gesellt sich, bei Live-Auftritten zumeist vom Band eingespielt, Curtis' sonore Sprechstimme, die in ruhigem Tonfall Geschichten ohne Höhepunkt erzählt. Das, was sich dem Klangbild nach zunächst als Song ausnimmt, sprengt schleichend das Format. Die Stücke werden zu weitläufigen Kreisen, an deren Ausklang noch nicht mal jemand auf einen Verzerrer tritt.

Das Charles Curtis-Trio benutzt Elemente, die einander nicht zwingend zugehörig sind, sondern in einem knisternden Nebeneinander stehen. Dieses Konzept setzte Curtis auch schon auf Tonträgern um. Nach zwei „regulären“ Platten auf Strangeways erschien auf dem Neu-Hamburger Label Beau Ri-vage eine Doppel-LP mit simultan abzuspielenden Seiten. Ultra White Violet Light besteht aus sich umschlängelnden Cello-Tönen, einem Trio-Song und zusätzlichen Geräuschen. Den technischen Aufwand (vier Tonträger brauchen vier Abspielgeräte) einmal außer Acht gelassen, ist es möglich, die Seiten in verschiedenen Konstellationen gleichzeitig abzuspielen, ohne dabei auf einen synchronen Startpunkt achten zu müssen. Dadurch ergeben sich immer neue Wechselwirkungen. Alles passt, aber jedes Element würde auch für sich allein funktionieren.

Auch wenn dieses Stück nicht zum Live-Programm des Trios gehört, so gibt es doch auch dort immer wieder Dinge zu erleben, die einen in Erstaunen versetzen. Dass sich so was weder anstrengend noch nach Culture Clash anhören muss, kann am Montag zum vorerst letzten Mal erlebt werden. Danach haben Curtis und seine Mitspieler Peter Imig und Henry Grant eine längere Pause einzulegen, denn Curtis ereilte kürzlich der Ruf an die Universität von San Diego, wo er in den nächsten Monaten als Professor für Cello und Neue Musik unterrichten wird.

heute, 22 Uhr, Astra Stuben