Blick über den Weihnachtstellerrand

Der große Jul-Navidad-Narodzenie-Christmas-Natale-Report: So tun’s die anderen am Heiligen Abend

Zwölf Mal Fisch und keine Gans

Zu einem richtigen polnischen Weihnachtsfest gehört ein Karpfen. Und der muss in jedem Fall noch leben, wenn er nach Hause getragen wird. In der heimischen Badewanne plätschert er noch ein paar Stündlein, bis dann sein letztes schlägt, er in der Pfanne goldbraun brutzelt und am Weihnachtsabend verspeist werden kann. Polnische Fernsehprogramme geben schon Tage vorher Tipps, wie so ein Weihnachtskarpfen fachgerecht ins Jenseits befördert wird. Da allerdings viele Zuschauer offensichtlich schwache Nerven haben und im entscheidenden Moment weggucken, wird das weihnachtliche „Karpfen-um-die-Ecke-Bringen“ mehrfach wiederholt. Also: Man nehme einen Hammer ... – empfindliche Zuschauer schließen jetzt die Augen, hören einen dumpfen Schlag, kippen zur Beruhigung der Nerven einen kleinen Wodka – und gucken dann wieder hin.

Der Fernsehkoch der Nation ist Maciej Kuron, Sohn des berühmten Oppositionellen aus den 70er- und 80er-Jahren, Jacek Kuron. Die Polen lieben die beiden gleichermaßen – während derVater ihnen die große Politik so erklärt, dass sie auch der kleine Mann verstehen kann, kocht der Junior so lecker, dass einem schon beim Zugucken das Wasser im Munde zusammenläuft.

Also Weihnachten: Zwölf Fischgerichte müssen es sein – für jeden Apostel eins, darunter viel Hering – in Sahne, in Aspik, auf „griechisch“ oder „jüdisch“ zubereitet, dann natürlich Karpfen, vielleicht Forelle oder Lachs. Dazu zwei bis drei Suppen – Borschtsch etwa. Pirogen – gefüllt mit weißem Käse, mit Sauerkraut oder Pilzen – müssen ebenso auf der Tafel stehen wie Mohnkuchen und ein Honig-Nachtisch mit Weizen, Rosinen und Mandeln.

Macjej Kuron ist dick. Wenn er all diese Köstlichkeiten in seiner Fernsehküche zaubert, würde man am liebsten durch den Bildschirm kriechen und sich zu ihm an den gedeckten Tisch setzen. Eine „polnische Gans“ übrigens würde man dort nicht bekommen. Die essen nämlich nur Deutsche zu Weihnachten.GABRIELE LESSER