Staatlich gelenkte Entblößung

Eine kommentierende Ausstellung sowjetischer Einheitsunterwäsche entfacht in Sankt Petersburg einen Kunststreit

„Bin ich froh, dass ich das nicht anziehen musste“ – Erleichterung befällt den Besucher der Ausstellung „Denkmal des Körpers – Unterwäsche der sowjetischen Epoche“, wenn er sich zwischen den Grobrippausgaben von Unterhosen und -hemden umsieht. Initiiert vom Petersburger Goethe-Institut und dem Institut für Kultur und Kunst Pro Arte haben sich die Kuratorinnen Ekaterina Djogot und Julia Demidenko einen Gegenstand ausgewählt, der in der Sowjetunion tabu war. Jetzt versuchen sie sich mit der ausgestellten Wäsche dem öffentlichen und dem privaten Leben im kommunistischen Alltag zu nähern: Wie sah das ästhetische Verständnis, das Verhältnis zum eigenen Körper aus?

Entsprechend wandelt man auf der Peter-und-Pauls-Festung vom ersten Abschnitt „Persönliches & Öffentliches“ der 20er- bis 40er-Jahre zu „Alltag & Scham“ (1946 bis 1964) hin zu „Depression & Wunschtraum“, die den Gang abschließen. Die Unterbekleidung wird ergänzt von Plakaten, Fotografien und Zeichnungen, dazu hängen Geschichten über persönliche Erfahrungen mit dem sowjetischen Einheitsangebot aus.

Die Dokumente bieten nicht nur köstliches Lesematerial, sondern treffen auch den Identifikationsnerv der russischen Besucher. Allzu deutlich wird bei dieser lustvollen Präsentation, wie lusttötend sich das Verhältnis der Sowjetbürger zu ihrer Unterwäsche gestaltete, denn die strenge Trennung zwischen Privatem und Politischem führte zu einer Unterdrückung der Sinnlichkeit. Zwar werden insbesondere die ersten beiden Ausstellungsabschnitte von leicht bekleideten Körpern dominiert, doch ausschließlich in Verbindung mit Hygieneanleitungen oder sportlichen Übungen. Ein privater Körper, dessen Entblößung nicht durch den Staat gelenkt wird, erscheint nicht.

Erotik gibt es nicht. Sie taucht erst in den Arbeiten zeitgenössischer Künstler auf, die in den 90er-Jahren erstmals begonnen haben, die bisher verschlossene Privatsphäre zu einem öffentlichen, einem künstlerischen Thema zu machen. So kokettieren Tatjana Liberman, Olga Egorowa, Anton Olschang und Natalja Perschina-Jakimanskaja in Videos, Installationen und Fotoarbeiten mit all den unterdrückten Gelüsten und der dadurch entstandenen Scham, ironisieren den sowjetischen Umgang mit Unterwäsche und nehmen ihn dabei zugleich sehr ernst. Trotzdem hat die Präsentation, in der ein Stück Geschichte entdeckungsreich und reizvoll aufgearbeitet wird, in Petersburg Ärgerverursacht. Das Kulturkomitee wollte die Ausstellung sogar verbieten und denkt über einen Gesetzentwurf nach, der zukünftige Ausstellungen einem staatlichen Genehmigungsverfahren unterwerfen soll. Dagegen steht allerdings ein noch von Jelzin erlassenes Gesetz, wie Wilfried Eckstein, Direktor des Goethe-Institutes, erläutert.

Tatsächlich scheint der Grund für die Erhitzung nicht nur in der Öffentlichmachung des Tabuthemas Unterwäsche zu liegen. Offenbar geht es um das russische, noch aus sowjetischer Zeit erhaltene Verständnis von Ästhetik und Schönheit, dem die Unterwäsche im Museum zuwiderläuft. Die Kunst gibt sich nicht mehr gesellschaftskonform, sondern enthüllt, was sonst verborgen gehalten wurde. Sie durchbricht damit das herkömmliche Verständnis der Sphäre des Schönen, wie es auch in der zeitgenössischen Kunst etwa von Timur Nowikows Neuer Akademie vertreten wird.

Dabei stößt sich die sowjetische Auffassung von Kunst als öffentlichem Platzhalter eines Mehrheitsgeschmacks an der aus dem Westen importierten Vorstellung, die Kunst als Gegenposition zur Gesellschaft sieht. Moskauer Konzeptualismus hin oder her, diejenigen, die Kunst als Mittel zur Kritik verstehen, gehören immer noch einer schmalen Schicht der Intellektuellen an.

In Petersburg offenbart sich die weiterhin schwierige Übergangssituation von Kommunismus zu Demokratie, denn obwohl „Denkmal des Körpers“ die sowjetische Epoche als abgeschlossen betrachtet, hat ihre Verarbeitung dieses Stadium noch lange nicht erreicht. Es ist wie mit neuer Unterwäsche: Anfänglich trägt man sie nur zu besonderen Anlässen, nach einiger Zeit täglich und schließlich nur noch auf der Datscha. Doch bis man sich dazu entschließt, sie endgültig fortzuwerfen, vergeht mehr Zeit, als die Wäsche eigentlich tragbar ist.

SANDRA FRIMMEL

Bis 31. 1. 2001, Peter-und-Pauls-Festung, Sankt Petersburg