Preußen als Wille und Vorstellung

Ein Bankier wusste nicht, wohin mit seiner Preußenbegeisterung, und baute sich ein Privatmuseum. In Wustrau bei Berlin feiert es den untoten Staat

Unzufriedenheit mit der Vergangenheit muss nicht sein. Warum nicht die Geschichte zurückdrehen, wenn sie dumm gelaufen ist? „Wiedervereinigung ungültig; Kohl war gedopt!“, blödelt ein Plakat des Satiremagazins Titanic. „Auflösung Preußens ungültig; Alliierte waren im Unrecht!“, denkt wohl Ehrhardt Bödecker, ein 75-jähriger Privatbankier aus Berlin – und er scheint es ernst zu meinen. Jedenfalls hat es sich der ehemalige Chef der Weberbank rund sieben Millionen Mark kosten lassen, in dem idyllisch am Ruppiner See gelegenen Dorf Wustrau das „erste Brandenburg-Preußen-Museum Deutschlands“ zu eröffnen.

Preußen wurde schon oft totgesagt, nach dem Ersten Weltkrieg ebenso wie 1932 nach dem Sturz seiner Regierung. Im Februar 1947 wurde es als „Träger von Militarismus und Reaktion‘‘ aufgelöst. Die Erinnerung an die einstige Großmacht ist aber nicht umzubringen. Assoziationen wie Kadavergehorsam, Obrigkeitsstaat und Kasernenhofmentalität seien jedoch „Mythen, die wir der amerikanischen Umerziehungspolitik verdanken“, wie Bödecker dem Faktenmagazin Focus erläuterte

Unzufrieden mit dem lästigen Abwägen der Berufshistoriker, hat sich der Museumsgründer beim Verfassen der Begleittexte keinen Zwang angetan. Was andere Norddeutsche allenfalls denken, spricht Bödecker offen aus. Entsprechend überschaubar sind die Grundannahmen seines „Lehrpfads durch 500 Jahre brandenburgisch-preußische Geschichte“: Erstens war Preußen der beste Staat aller Zeiten; zweitens ist Preußen identisch mit Deutschland – Bayern, Badener und andere Hiwi-Völker sind nicht der Rede wert; und drittens waren die Franzosen immer schon die Feinde Deutschlands.

Der Rundgang beginnt im Jahr 1415 mit der Belehnung des Nürnberger Burggrafen Friedrich VI. von Hohenzollern mit der Markgrafschaft Brandenburg. Ohne sich mit Diskussionen über die slawische Herkunft der Urpreußen aufzuhalten, geht es weiter zur Porträtgalerie der preußischen Herrscher. Schließlich waren es die gekrönten Häupter, die sich den Kunststaat Preußen aus der „märkischen Streusandbüchse“ mit Gewalt und Vernunft geschaffen haben.

Das letzte Porträt zeigt Kaiser Wilhelm II. Ein verantwortungsloser Säbelrassler am Vorabend des Ersten Weltkriegs? Ein reaktionärer Feind der Moderne? Ein bizarrer Herrscher, der zuweilen erwachsene Männer im Ballettröckchen antanzen ließ? Nein, Wilhelm II. war „der größte Bildungspolitiker und Förderer der Naturwissenschaften. Unter seiner Herrschaft erklomm Preußen-Deutschland in der Bildung, in Wissenschaft und Wirtschaft die Spitzenstellung in der Welt.“ So kann man es auch sehen.

Dass Preußen immer schon Spitze war, wollen die folgenden Abteilungen zeigen: Hat es nicht als erstes europäische Land Religionsfreiheit gewährt (1608), Hexenprozesse und Folter abgeschafft (1728 und 1740), die Freiheit von Forschung und Lehre in der Verfassung garantiert (1850)? Hat nicht der Soldatenkönig für einen „Staatshaushalt ohne Schulden“ gesorgt? „Mit Dienen und Leisten, mit religiöser Toleranz und juristischer Sachlichkeit entstand die über 200 Jahre anhaltende Vertrauensbasis in den preußischen Staat, dem sich Beamte, Richter und Offiziere als Leistungseliten verpflichtet fühlten. Sie waren mit Recht stolz darauf.“

Der „geistige Ursprung der preußischen Tugenden und Beginn der europäischen Aufklärung“ sei an der Universität Halle zu suchen, und zwar 60 Jahre vor der Enzyklopädie in Frankreich. Und während die Engländer das „Monopol im Sklavenhandel“ hatten, sei in Preußen „Sklaverei verboten“ gewesen. Das hat preußische Sklavenhändler zwar nicht gehindert, an die 30.000 Schwarzafrikaner in die Karibik zu verhökern – aber mit unguten Details will das Museum seine Besucher nicht verwirren.

Lieber geht es mit preußischer Bescheidenheit in die Neuzeit: „Preußen-Deutschland wurde das führende Land der Chemie, weil es über ein höheres Bildungsniveau als alle anderen Länder verfügte“, die „deutsche optische Industrie dominierte den Weltmarkt“, Preußen führte auch „auf allen Anwendungsgebieten der Elektrizität“, außerdem baute es „die größten Schiffe“ und den „meistbefahrenen Seekanal der Welt“ und mehr Spielzeugpuppen als alle anderen. Da konnten die Franzosen „wühlen“, so viel sie wollten.

Zum jämmerlichen Ende Preußens kneift das Museum. Zu sehen sind zum Schluss nur Fotos von Widerstandskämpfern gegen die Nazis. „Nicht jeder Deutsche, der für sein Vaterland kämpfte, war ein Anhänger Hitlers. Kann das die heutige Generation nach 50 Jahren Medienbeeinflussung noch verstehen?“ Daneben hängt eine Standarte von dem Auto, in dem Kaiser Wilhelm II. im November 1918 nach Holland ins Exil fuhr, um dort den Rest seines Lebens mit Holzfällen zu verbringen. Die Fahne sei ein Symbol für „den beklagenswerten Abschluss einer erstaunlichen Dynastie“.

Die meisten der Besucher, die aus ganz Deutschland zum Brandenburg-Preußen-Museum pilgern, sind mit dieser Sicht der Geschichte zufrieden: „Lebendig“, loben sie die Schau im Gästebuch. MARTIN EBNER

Brandenburg-Preußen-Museum, Eichenallee 7A, 16818 Wustrau, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 16 Uhr geöffnet.