Mit der Kanone zum Mond

Wie es durch Henrystutzen, Silberbüchse und Bärentöter zur Entwicklung der V2 kam oder Warum die beiden Schriftsteller Jules Verne und Karl May mit ihren Zukunfts- und Indianerromanen großen Anteil an Neil Armstrongs Mondlandung hatten

von FALKO HENNIG

Wenn überhaupt ein Schriftsteller die ersten Menschen auf den Mond gebracht hat, dann muss es doch Jules Verne mit seinem 1865 erschienenen Zukunftsroman „Von der Erde zum Mond“ gewesen sein.

Viel spricht dafür, denn alle wichtigen Raketen- und Weltraumpioniere, die Russen Nikolai Kibaltschitsch und Konstantin Ziolkowski, die Deutschen Hermann Ganswindt und Hermann Oberth, Max Valier und Wernher von Braun, selbst der amerikanische Raketenpionier Robert Goddard, lasen als Kinder mit Begeisterung diesen Roman. Auch wenn das darin beschriebene Prinzip, Weltraumreisende mittels Kanone zum Mond zu schießen, nie ernsthaft in Betracht gezogen wurde, besteht kein Zweifel, dass Jules Verne die Raketenpioniere zu ihren Entwicklungen inspirierte. In einer frühen Versuchsphase rasten verschiedene von Valiers Raketenwagen über die Berliner Avus.

Drei Gewehre und die V2

Die einzige Gemeinsamkeit, die sich bei Karl May mit dem Genre des Zukunftsromans finden lässt, ist seine Beschreibung einer Flugmaschine in „Winnetous Erben“, deren Funktionsweise aber unklar bleibt.

Karl May soll die ersten Menschen von der Berliner Avus auf den Mond gebracht haben? Der Karl May, dessen Helden noch im wildesten Westen so deutsch bleiben, dass sie sächseln und Heine zitieren? Dessen Old Shatterhand wirklich treffender „Alte Schmetterhand“ genannt würde, dessen Gewehre, Henrystutzen und Bärentöter über magische Kräfte verfügten und gemeinsam mit Winnetous Silberbüchse die Blutsgebrüder unbesiegbar machten? Das mag man zuerst nicht glauben, und doch hat der Fabulierer Karl May mit diesen drei Gewehren, ohne es zu ahnen, bewirkt, dass am 20. Juli 1969 Neil Armstrong den Mond betreten konnte.

Karl-May-Leser Hitler

Das hat mit einem Leser zu tun, der zirka 1899 begann, Karl May zu verschlingen, wie noch Generationen von Jungen nach ihm. Aus diesem Jungen wurde die wichtigste und schrecklichste Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Es geht um den Karl-May-Leser Adolf Hitler.

Tatsächlich, und darin unterscheidet sich Hitler von vielen anderen Mayanern, blieb der Abenteuerautor Hitlers Lieblingsschriftsteller auch im Erwachsenenalter. Selbst Karl Mays später geäußerter Pazifismus irritierte den Kriegsmenschen Hitler nicht.

Noch als Reichskanzler schmökerte Hitler Karl May. In der angespannten Situation des Zweiten Weltkriegs las er noch einmal das komplette Werk des sächsischen Fantasten durch und empfahl sogar seinen Generälen diese Lektüre, damit sie durch den Vergleich mit den Apachen und Komantschen die Partisanentaktik der sowjetischen Gegner verstehen lernten.

Auch Feldausgaben von Karl May zur Unterhaltung der deutschen Landser veranlasste er in dieser Zeit. Und er setzte seine Hoffnungen für einen deutschen Sieg mehr und mehr auf Wunderwaffen, auf magische geheimnisvolle Kriegswerkzeuge, die durch ihre unerklärliche Wirkung Schrecken und Vernichtung bringen sollten. Die Entwicklung der V2 gehört zu den aberwitzigsten Kapiteln der Technikgeschichte. Vielen ist Hitlers irrationale Hoffnung und Begeisterung für Wunderwaffen rätselhaft geblieben. Und die Alliierten konnten sich in verschiedener Hinsicht für diese Macke nur bedanken. 6.000 Mitarbeiter entwickelten in Peenemünde eine niemals zufriedenstellend funktionierende Waffe, bei deren Produktion mit etwa 10.000 Menschen doppelt so viele starben wie bei ihrem Einsatz. Dass diese Opfer hauptsächlich KZ-Häftlinge waren, zeigt die Peenemünder und Wernher von Braun in keinem vorteilhaften Licht.

Etwa 2 Milliarden Reichsmark hatte Deutschland diese Waffe gekostet, das amerikanische Manhattan-Projekt zum Bau der Atombombe kostete weniger als die Hälfte. Welche Erklärung kann es geben für das Beschreiten eines solchen Irrwegs? Woher kam Hitlers vernunftwidriges Fasziniertsein durch Wunderwaffen?

Schaut man sich die Schriften seines Lieblingsphilosophen, seines jedenfalls meistgelesenen Autors an, ebenjenes Karl May, entdeckt man Wunderwaffen überall. Die Helden schießen und stechen sich damit aus ausweglosen Situationen, Winnetou, Kara Ben Nemsi, Old Shatterhand und Trapper Geierschnabel genau wie Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah.

Falsche Planeten

Wernher von Braun behauptete nach dem Krieg, die V2 habe mit London und Paris einfach „den falschen Planeten getroffen“. Nur folgerichtig, dass er sich dann bemühte, den richtigen zu erreichen. Doch war auch der Wettlauf der Supermächte in den Weltraum ein Rüstungswettkampf. Erst in der Verbindung der Raketentechnik mit der Atombombe entstanden die zerstörerischsten Waffen der Menschheit.

Die Raumfahrt fungierte dabei auf beiden Seiten als Drohgebärde und Kraftprotzerei. Ohne die in Nazi-Deutschland erfolgten Vorarbeiten hätte weder Juri Gagarin 1961 als erster Mensch in einer Raumkapsel die Erde umkreist, noch hätte acht Jahre später ein Amerikaner den Mond betreten.