„Plattenfirmen haben keine Fantasie“

Die Songwriterin Aimee Mann über ihre Beiträge zum Film „Magnolia“, den Kommerzdruck der Musikindustrie und den Vorzug der Unabhängigkeit

Interview MICHAEL TSCHERNEK

taz: Ihre Musik zum Film „Magnolia“ hat Ihnen viel Aufmerksamkeit beschert. Von Paul Thomas Anderson, dem Drehbuchautor und Regisseur, heißt es, dass er von Ihren Songs überhaupt erst zu seiner Geschichte inspiriert wurde. Andererseits sollen sie die Stücke eigens für den Film geschrieben haben. Was war denn nun zuerst da? Die Geschichte oder die Songs?

Aimee Mann: Das ging Hand in Hand. Ein paar von meinen Songs waren zuerst da. Als Paul Thomas Anderson dann an der Geschichte gearbeitet hat, erzählte er mir von dem Skript, den Charakteren und den Personen, die ihn dazu inspiriert haben. Dann bat er mich, weitere Songs für den Film zu schreiben, und bei meiner weiteren Arbeit hatte ich dann diese Geschichte im Hinterkopf.

Es ist selten, dass bestimmte Songs so eng mit einem Film verwoben sind. In einer Szene etwa singen sämtliche Protagonisten, von Tom Cruise bis Jason Robards, Zeilen aus dem Stück „Wise Up“. Die „Magnolia“-Musik wurde deswegen schon mit dem Soundtrack zu „Die Reifeprüfung“ von Simon & Garfunkel verglichen. Erfüllt Sie das mit Stolz?

Natürlich, das ist wundervoll. Ich liebe „Die Reifeprüfung“ für ihr Zusammenspiel von Film und Musik und finde, dass er an eine kreativere Phase in beiden Branchen erinnert. Ja, der Film hat sehr viel für mich bewegt.

Sie hatten in der Zeit davor ja ausgesprochen viel Pech mit Ihren Plattenfirmen ...

So wie ein paar tausend andere gute Leute auch ...

Ihr aktuelles Album „Bachelor No. 2“ haben Sie schon vor zwei Jahren für die Plattenfirma Interscope aufgenommen, die es aber ohne „Nachbesserungen“ nicht veröffentlichen wollte. Dann haben Sie sich die Rechte an dem Album zurückgekauft und es in seiner ursprünglichen Fassung in Eigenregie veröffentlicht, und so verkauft es sich in den USA jetzt schon sehr erfolgreich. Wo genau lagen denn die Probleme mit der Plattenfirma?

Plattenfirmen geben dir völlig schwammige Ratschläge wie: „Überarbeite deine Songs, mach sie kommerzieller.“ Aber sie geben dir keinen Hinweis darauf, was sie eigentlich damit meinen. Mit so einer Aussage kann ich nichts anfangen. Insbesondere weil ich eigentlich nicht das Gefühl habe, dass meine Songs besonders schräg, abwegig oder atonal sind (lacht).

Das kommt natürlich ganz auf den Maßstab an ...

Klar, wenn der Maßstab Britney Spears ist, dann wirst du plötzlich als Captain Beefheart eingestuft (lacht).

Der Songwriter Michael Penn ist Ihr Ehemann. Hat er ebenso schlechte Erfahrungen im Musik-Business gemacht wie Sie?

Oh ja, er hatte häufig mit den gleichen Problemen zu kämpfen.

Was machen die großen Plattenfirmen im Umgang mit ihren Künstlern falsch?

Sie haben keine Fantasie. Sie kennen nur eine Art und Weise der Vermarktung: Sie versuchen, deine Platte beim Radio und bei MTV unterzubringen. Wenn das nicht funktioniert, dann ist es eben vorbei.

Im Übrigen fehlt den meisten leitenden Angestellten der entsprechende musikalische Background. Das sind meistens Buchhalter und Juristen, die allerdings astronomisch hohe Gehälter beziehen, zumindest in den USA. Das ist völlig verrückt. Da ergeben sich dann solche Geschichten wie die von der Band, die bei ihrer Plattenfirma zusätzliche 2.000 Dollar beantragt hat, für eine Remix-Version oder um eine Tour verlängern zu können. Daraufhin fliegen alle leitenden Angestellten zum Veranstaltungsort, verbringen drei Nächte im Hotel Ritz und geben locker 4.000 Dollar aus, um zu dem Entschluss zu kommen, dass sie sich eine Investition von 2.000 Dollar nicht erlauben können (lacht). Solche Sachen passieren da andauernd.

Trotzdem gibt es ja ein großes Publikum für eine Musik jenseits von Britney Spears. Warum sind Ihrer Meinung nach große Plattenfirmen selten in der Lage, dieses Publikum zu erreichen?

Nun, stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Job als A & R-Mann bei einer großen Plattenfirma, und der Präsident der Gesellschaft käme in Ihr Büro und sagte: „Wir dürfen nur einen Künstler im nächsten Quartal zu unserer Priorität erheben. Und der muss ein Verkaufsrenner werden, sonst werden Sie gefeuert.“ Auf Ihrem Plan stehen beispielsweise Elliott Smith und Britney Spears. Welcher Künstler käme dafür in Frage? Auf der einen Seite also ein sehr intelligenter und launischer Singer/Songwriter, auf dessen Platten es nicht eine einzige Uptempo-Nummer gibt, der ein wenig schmuddelig ist, viele Tätowierungen hat und nicht viel redet – Sie können sich also kaum vorstellen, dass er die Radiostationen besucht, den Leuten die Hände schüttelt und am Abend mit diesen Leuten ein Restaurant und den Stripclub besucht. Und auf der anderen Seite die adrette Britney, die alles mitmacht. Wem würden Sie unter diesen Voraussetzungen den Vorzug geben? Sie würden vermutlich auch Britney auswählen.

Es gab, vor etwa fünf oder sechs Jahren, eine Phase in der Geschichte der großen Plattenfirmen, in der man die Pflege von Leuten wie Elliott Smith als langfristige Investition angesehen hat. Inzwischen schwören sie aber alle auf ein neues Modell: „Wir konzentrieren uns auf einen Act, und den prügeln wir durch.“

Hat Sie diese Erfahrung entmutigt?

Sehr sogar. Ich hatte das Gefühl, an einer Aufgabe gescheitert zu sein, die meiner Auffassung nach ohnehin nicht zu meinen vordringlichen Pflichten zählte: Ich habe darin versagt, jemanden bei der Plattenfirma davon zu überzeugen, dass ich ihre Zeit, ihr Geld und ihre Aufmerksamkeit verdiene.

Waren Sie bereit aufzugeben?

Ich habe aufgegeben. Anfangs wollte ich die Musik sogar völlig aufgeben. Dann wurde mir klar, dass das System der großen Plattenfirmen und ich einfach nicht kompatibel sind – es würde einfach nie funktionieren. Mir wurde klar, dass ich unbedingt aussteigen musste.

War es teuer, die Rechte an Ihrem Album zurückzukaufen?

Kommt darauf an, was Sie unter teuer verstehen ... Das war eine niedrige sechsstellige Summe. Wir hatten das Glück, dass es da eine Klausel im Vertrag gab, die besagte, dass sie eine Platte, die ich ihnen liefere, veröffentlichen müssen. Gleichzeitig wusste ich, dass sie das Album in dieser Form niemals auf den Markt bringen würden.

Bedeutet es nicht auch wesentlich mehr Arbeit, wenn man, ohne Plattenfirma, plötzlich alles selbst machen muss: Verlag, Vertrieb, Werbung, Tourneeplanung?

Nein. Wir verplempern keine Zeit mehr damit, irgendwelche Leute davon zu überzeugen, dass es sich für sie lohnt, wenn sie ihren Job erledigen. Das war immer fürchterlich frustrierend.

Bei den Plattenfirmen bist du fremden Entscheidungen ausgeliefert, und manchmal dauern die einfach zu lange. Bei meiner letzten Firma war es fürchterlich: Jedes Mal, wenn ich eine Platte aufgenommen habe, dauerte es noch einmal ein volles Jahr, bis sie endlich veröffentlicht wurde.

Warum haben Sie nicht einfach die Hitsingle geliefert, nach der immer gefragt wurde?

Wie macht man das denn (lacht)? Jedes Mal, wenn ich einen Song schreibe, habe ich das Gefühl, dass er sehr griffig ist. Alex Chilton hat einmal über seine Songs gesagt: „Für mich klingen sie alle wie Hits.“

Ohne Plattenfirma verdienen Sie an jedem verkauften Album rund drei bis viermal so viel wie bisher, oder?

Das Verhältnis ist sogar noch besser! Wir haben früher nie von dem Verkauf der Alben profitiert. Man erhält gelegentlich Tantiemen, aber das ist nicht gerade viel. Selbst als ich mit meiner Band Til Tuesday ein Album in den Top Ten hatte, haben wir daran nicht verdient – wir haben damals von 150 Dollar in der Woche gelebt, sind in einem alten Kleinbus durch die Gegend gefahren und mussten in schäbigen Hotels übernachten.

Haben sie schon als Kind davon geträumt, eine Songwriterin zu werden?

Nein, ich stand nie mit einem Tennisschläger vor dem Spiegel, als ob ich eine Gitarre halten würde. Oder mit einer Haarbürste als Mikro (lacht). In der Schule habe ich Theaterklassen belegt. Ich dachte eher daran, Schauspielerin zu werden. Aber ich war nicht besonders gut.

Und wann haben Sie sich dann für diesen Beruf entschieden?

Ich bin im Grunde nur deshalb Anfang der 80er auf die Berklee School of Music in Boston gegangen, um etwas über Musik zu lernen und festzustellen, ob ich in diesem Bereich etwas Talent habe. Es hätte genauso gut eine Kunsthochschule sein können. Es ging mir nicht anders als anderen, die nicht so richtig wissen, was Sie anfangen sollen. Es war nur ein Versuch, und ich hatte Glück.

Ihre Texte handeln häufig von komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen. Was ist Ihrer Meinung nach besonders wichtig, damit eine Beziehung funktioniert?

Jede Art von Verleugnung zu vermeiden ist wahrscheinlich das Wichtigste für eine funktionierende Beziehung. Man muss in der Lage sein, den Mund aufzumachen, wenn sich bestimmte Routinen in einer Beziehung eingespielt haben.

Ich kenne viele Leute, bei denen sich mit der Zeit so ein scherzhafter, manchmal geradezu beleidigender Umgangston eingeschlichen hat. Und es schwierig, aus solchen Gewohnheiten wieder rauszukommen.

Spiegelt sich in der Enttäuschung, von der manche Ihrer Liebeslieder erzählen, auch Ihre Erfahrung mit der Musikindustrie in den letzten Jahren?

Für gewöhnlich schreibe ich, wenn sich gewisse Ereignisse in meinem Leben überschneiden. So zum Beispiel bei dem Song „How Am I Different“: Da ging es um einen Aufreißer, der mich davon überzeugen wollte, dass er sich zu einer völlig anderen Person entwickeln würde, wenn er mit mir zusammen sein dürfte. Diese Vorstellung hielt ich für lächerlich: Wie sollte ich so außergewöhnlich sein, dass ich die Persönlichkeit eines anderen völlig umkrempeln könnte?

Beim Schreiben ist mir dann natürlich auch die Parallele zu den Plattenfirmen aufgefallen. Die behaupten auch: „Wir sind ganz anders als Ihre letzten Plattenfirma, die Sie so schlecht behandelt hat ... Bei uns wird es Ihnen viel besser ergehen ... Wir sind die Guten!“ Das ist immer wieder die gleiche Geschichte.

Nach dem Erfolg der „Magnolia“-Songs und Ihres aktuellen Albums haben aber sicher einige Plattenfirmen noch einmal bei Ihnen angeklopft.

Allerdings, und sie bieten uns regelrechte Freibriefe an, etwa in der Art: „Wir machen alles, was ihr wollt.“ Dazu kann ich nur sagen: Wir haben unsere eigene Plattenfirma und machen bereits alles, was wir wollen.