Uran-Panik in Serbien

Noch ist in Serbien infolge des Einsatzes von Uran-Munition kein Soldat erkrankt. Die Behörden wiegeln ab. Doch die Menschen sind verunsichert

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Der Beschluss der Nato, die mit abgereichertem Uran geladene Munition vorerst nicht aus dem Verkehr zu ziehen, weil schädliche Folgen für die Gesundheit der Menschen nicht nachzuweisen seien, stößt in Serbien auf helle Empörung. Die Belgrader Tageszeitung Glas Javnosti bezeichnete die Angelegenheit als ein „abgereichertes Verbrechen“.

Der Vizepräsident der regierenden „Demokratischen Alternative“, Chemieprofessor Djordje Petrović, erklärte, die Nato würde die Menschen „skrupellos für blöd halten“, indem sie behauptete, Uran hätte keine radioaktive Strahlung. Allein der feine Ionstaub, der sich nach der Explosion von uranhaltigen Projektilen verbreitet und eingeatmet werden kann, sei wegen seiner Strahlung gesundheitsschädlich.

Auch die Bevölkerung ist verunsichert. „Ich mache täglich einen weiten Bogen um den Generalstab“, sagt der Zeitungsverkäufer Nenad Ristić. Der kürzeste Weg zu seinem Kiosk führt an einem massiv zerstörten Gebäude in der Belgrader City vorbei, das im Frühjahr 1999 von mehreren Marschflugkörpern der Nato getroffen wurde. Vergeblich beteuern serbische Behörden, dass in Belgrad nach dem Bombardement der Nato keine erhöhte Radioaktivität festgestellt worden ist. Wie viele andere Belgrader ist auch Ristić die Sache mit der Uran-Munition „nicht geheuer“.

Nach Angaben der Abteilung für Kernwaffen der jugoslawischen Armee sei bisher kein Soldat an den Folgen von radioaktiver Strahlung erkrankt. Krankheiten bei Mitgliedern der Friedenstruppen im Kosovo könnten jedoch damit erklärt werden, dass die Nato-Soldaten wesentlich länger einer möglichen Strahlung ausgesetzt waren als die jugoslawischen Streitkräfte, die sich drei Monate nach dem Bombardement zurückgezogen hatten. Der Großteil der über 50.000 mit Uran geladenen Projektile sei auf das Kosovo abgefeuert worden. In Serbien selbst wurde eine erhöhte Uraniumstrahlung im Süden gemessen. Sechs radioaktive Zonen, hauptsächlich entlang der Grenze zum Kosovo, sind gesperrt worden.

„Die radioaktive Strahlung in den Einschlagstellen von mit abgereichertem Uran geladenen Munition ist tatsächlich um 2.000 Prozent höher als normal. Doch nur einen Meter weiter entfernt befindet sie sich schon im Rahmen der Grenzwerte“, sagt der Arzt Miroslav Simić aus dem südserbischen Vranje. Seiner Meinung nach würden schädliche Folgen für die Bevölkerung erst in drei bis vier Jahren auftreten, wenn man es zulasse, dass radioaktive Materie in die Erde eindringe und die Nahrungskette gefährde. Simić appelliert deshalb an die Nato, die nötigen Finanzmittel für die Dekontaminierung des betroffenen Terrains zur Verfügung zu stellen.

Serbische Ärzte beklagen, dass bei der Bevölkerung allmählich eine „Uran-Panik“ ausbricht. Bei jeder Migräne denken die Menschen, dass sie bestrahlt worden seien. Besonders Schwangere befänden sich in einem Angstzustand, der unabhängig von möglicher Strahlung negative Folgen für den Embryo haben könnte.

„Wir alle sind potentielle Patienten“, behauptet der jugoslawische Naturschützer Dejan Dimov. Man dürfte nicht vergessen, dass Uranstrahlung kombiniert sei mit der durch das Bombardement der chemischen Industrie entstandenen Verseuchung, mit der Unterernährung der sozial ruinierten Bevölkerung, die sich seit einem Jahrzehnt in einem permanenten Stresszustand befinde. In der Republika Srpska, wo die Nato ebenfalls mit Uran-Munition bombardierte, seien Krebserkrankungen bei Frauen alarmierend gestiegen. Die Nato habe ein Experiment mit einem ganzen Volk gemacht, so Dimov.