Die Verlorenheit im Exil

Kuba ist ein Klavier, das irgendjemand hinter dem Horizont spielt. Der Schriftsteller Eliseo Alberto begibt sich auf die Suche nach der auf „La Isla“ verlorenen Zeit. Damit liegt er im aktuellen Trend

Kommst du nach Kuba, musst du erzählen, was hinterm Horizont geschieht

von DIEMUT ROETHER

Eine bessere Marketingkampagne hätte sich Fidel nicht ausdenken können: Da stellen sich ein paar alte, gut gelaunte Herren, die kaum noch laufen, aber umso besser tanzen können, auf die Bühne, singen von „Schwarzen Tränen“, und alle Europäer liegen ihnen zu Füßen. Dem „Buena Vista Social Club“ und der „Vieja Trova Santiaguera“ verdankt Kuba die neuen Invasoren, die mit Neckermann für 2.000 Mark zwei Wochen nach Varadero fliegen, in Havanna einen Salsakurs besuchen und anschließend von der einmaligen Stimmung in der „Bodeguita del Medio“, Havannas Touristenkneipe Nummer eins, schwärmen.

Wie einst in den Sechzigern wird Kuba wieder zum Wallfahrtsort. Viele Pilger von heute suchen allerdings nicht die Revolution, sondern die Emotion – das wahre Leben, die karibische Sinnlichkeit. Über die kleinen Schönheitsfehler im Paradies sehen sie großzügig hinweg.

Vom musikalischen und touristischen Kubaboom scheinen nun auch die Verlage profitieren zu wollen. Zahlreiche kubanische und im Exil lebende Autoren haben in den vergangenen Jahren Romane veröffentlicht, die auch ins Deutsche übertragen wurden: Zoé Valdés, Jesús Díaz, Abilio Estévez und Senel Paz, dessen Erzählung „El lobo, el bosque y el hombre nuevo“ Grundlage für den kubanischen Film „Erdbeer und Schokolade“ wurde, sind die bekannteren.

„Ich habe eine ziemlich konservative Theorie dafür, warum so viele Kubaner schreiben, Musik machen oder malen“, scherzte der im mexikanischen Exil lebende Autor Eliseo Alberto kürzlich während einer Lesereise in Deutschland: „Sie langweilen sich. Sie haben eine gute Ausbildung und viel Zeit. Niemand arbeitet in Kuba. Und wenn man die Bücher liest, die in den vergangenen Jahren erschienen sind, könnte man meinen, man läse einen einzigen, riesigen Roman, eine Art ,Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘, der von vielen verschiedenen Autoren geschrieben wurde.“

Eine Suche, bei der auch Eliseo Alberto kräftig mittut. Zwei seiner Romane sind kürzlich gleichzeitig in Deutschland erschienen. In „Caracol Beach“ erzählt er die tragische Geschichte einer Nacht, in der zwei junge Highschool-Absolventen, erpresst von einem durchgeknallten Veteranen des Angolakriegs, zu Gewalttätern werden und schließlich gewaltsam enden: Der eine stirbt durch einen Unfall, der andere wird von den Kugeln eines nervösen Polizisten durchsiebt. In „Die Geschichte von José“, dem anderen Roman, wird ein Sträfling, der Exilkubaner José, vor die Wahl gestellt, den Rest seiner Haftstrafe statt im Gefängnis in einem Käfig abzusitzen. José akzeptiert und wird als Homo sapiens zur Attraktion des kleinen Zoos von Sante Fé.

In beiden Büchern schildert Eliseo Alberto die Verlorenheit der Exilanten, die zwar in Freiheit leben, aber dennoch nicht wissen, wohin sie gehören. Mit spöttischer Zärtlichkeit erzählt er von ihrem Heimweh, ihrer Sehnsucht nach den heimatlichen Gerüchen und Speisen. La Isla, die Insel. Sie beherrscht das Denken und die Träume der Kubaner. Derjenigen, die dort leben, und derjenigen, die weggingen, weil sie auf der Insel nicht mehr leben konnten oder wollten. „Kuba ist ein Klavier, das irgendjemand hinter dem Horizont spielt“, sagt eine Figur in „Caracol Beach“. Laura Fontanet, die das sagt, ist die Tochter einer Exilkubanerin, die starb, als die kleine Tochter fünf Jahre alt war. Von der leidenschaftlichen Klavierspielerin erfuhr das Mädchen alles, was es über Kuba weiß. „Der Horizont“, sagt Eliseo Alberto im Gespräch, „ist der große Feind der Kubaner. Wenn du nach Kuba kommst, laden wir dich ein und bewirten dich mit dem Besten, was die Küche hergibt – vorausgesetzt, du erzählst uns davon, was hinter dem Horizont passiert.“ Der Horizont ist auch der Feind der Exilkubaner, weil hinter ihm die verlorene Insel liegt.

Alberto hält nichts von dem wutschäumenden Anti-Castrismus, den andere exilkubanische Autoren lange pflegten. Vielleicht liegt es daran, dass er das so genannte Samt-Exil wählte, als er nicht mehr nach Kuba einreisen durfte. 1995, während eines Aufenthalts in Mexiko, wo er gemeinsam mit dem kolumbianischen Autor Gabriel García Márquez an einem Drehbuch arbeitete, begann er, den „Rapport gegen mich selbst“ zu verfassen. Ein Buch, in dem er erzählt, wie er im Auftrag des kubanischen Inlandsgeheimdienstes Bericht über seine eigene Familie erstattete. Als die kubanischen Behörden davon Wind bekamen, stellten sie Alberto vor die Wahl: Entweder er stelle die Arbeit an dem Buch ein, oder er dürfe nicht mehr auf die Insel zurückkehren.

Alberto blieb in Mexiko. Aber beide Romane spielen in Florida, jenem amerikanischen Bundesstaat, in dem die meisten Exilkubaner Zuflucht fanden. Knapp zwei Millionen Kubaner leben heute dort und haben – wie zuletzt im Medienkrieg um den kleinen Jungen Elián zu beobachten war – starken Einfluss auf die amerikanische Regierung.

Der Hass der politischen Führer der Exilkubaner auf Castro ist stärker als jede politische Vernunft. In Havanna, erzählt Alberto, wurde kürzlich ein 78-jähriger Exilkubaner festgenommen, der geplant hatte, den Revolutionsführer umzubringen: „Die beiden waren Studienkollegen, und dieser uralte Mann sagte, er wolle erst sterben, wenn der andere tot sei.“ Dieser Hass vernebelt auch alle Pläne für eine kubanische Zukunft nach Castro. „Weder auf der Insel noch im Exil gibt es ein politisches Projekt, wie es weitergehen soll. Wenn Fidel morgen stirbt“ – bei diesem Satz senkt Alberto die Stimme – „ist die Insel daher extrem gefährdet. Sie wird zu einem Einfallstor für das schnelle Geld werden. Sie ist ein idealer Umschlagplatz für den internationalen Drogenhandel – und die lateinamerikanischen Drogenkartelle sind sehr mächtig.“ Keine guten Aussichten für La Isla.

Eliseo Alberto: „Caracol Beach“. Aus dem Spanischen von Lutz Kliche. dtv, München 2000, 320 Seiten, 28 Mark; „Die Geschichte von José“. Aus dem Spanischen von Sybille Martin. Kindler Verlag, München 2000, 252 Seiten, 39,80 Mark; „Rapport gegen mich selbst“. Aus dem Spanischen von Georg Pichler. Rotpunktverlag, Zürich 1999, 320 Seiten, 38 Mark