Helden, die sehr viel denken

Heiterer Schriftsteller werden und Texte vortragen: Das LCB lud zum Abschluss seiner Autorenwerkstatt Prosa 2000 zu einer Lesung

Das Literarische Colloquium Berlin hat zum Abschluss seiner „Autorenwerkstatt Prosa 2000“ geladen. 240 Bewerbungen habe es für die 8 Stipendien gegeben, führt Ursula Krechel aus, die wie schon in den letzten Jahren die Prosawerkstatt leitete. Stendhal und Mandelstam erwähnt sie und dass das Autorendasein eine ganz neue Attraktivität gewonnen habe – während der Großvater noch Rockstar werden wollte, möchten seine Enkel nun alle Schriftsteller sein.

Von den in der Autorenwerkstatt behandelten Texten sind sieben längere, die wohl bald Romane werden. Nur eine Frau mit Kurzgeschichten ist aufgenommen worden. Krechel bedauert dieses Eingehen auf das Verlangen des Literaturmarkts nach Epik. Auch den Verlags- und Medienhype in Bezug auf Debütanten bedauert sie. Es scheine inzwischen sehr viel günstiger, das erste Buch zu veröffentlichen, als das zehnte, und eine solche Rezeption gefährde das Werk: Der Text werde zum Spielmaterial des Markts und der Ökonomie.

Dann beginnen die Lesungen. Erste Vortragende ist Christina Griebel, geboren 1973 in Karlsruhe. Laut Ursula Krechel behandeln ihre Geschichten so weit entfernt liegende Örtlichkeiten wie Moskau, einen isländischen Kuhstall oder eine Provinzbibliothek. Griebel hat Haare wie Alexa Hennig von Lange, nur dunkler, und sie ist ja auch noch etwas jünger. Der Text ist dann recht heiter, eine Kleinstadt- oder Dorferinnerung, vermutlich aus der Kindheit. Die Erzählerin denkt beim Teezubereiten über Schnecken und verschiedene Rezepte zu ihrer Vernichtung nach. Selbst eine ungewöhnliche Sexualpraktik mit den Weichtieren wird erwähnt, bleibt aber leider nur angedeutet.

Andreas Schäfer, Jahrgang 1969 und Autor der Berliner Zeitung, liest sodann einen Auszug aus seinem im Herbst erscheinenden Roman „Auf dem Weg nach Messara“. Der Ich-Erzähler beschreibt einen Besuch als Jugendlicher bei der Familie in Griechenland.

Angesichts der Tatsache, dass die meisten der lesenden Autoren sich erstmalig in dieser Form einem Publikum vorstellen, ist die Professionalität wirklich aller Vortragenden bemerkenswert. Die Frankfurterin Christina Wolf ist 1980 geboren und damit die jüngste Auserwählte der Werkstatt. Trotzdem erwähnt Ursula Krechel ihre schon erstaunliche Schreibkarriere bis hin zu dem Roman aus dem Rotlichtmilieu, aus dem sie eine Passage vorliest. Der Heldin, einer Table-Dancerin werden schwarze Stücke aus dem Leib gerissen, während sie zerfleischt wird von der Fröhlichkeit ihres Freundes. Die Erwartungen erregter Käufer wird dieses Buch wohl eher enttäuschen. Aber es ist durchaus ordentliche Prosa, die sogar authentisch klingt, auch wenn sich die Recherchen der Autorin in den betreffenden Lokalen auf einige wenige Besuche beschränkten. Die nächste Autorin, Nora Estermann, geboren 1951, ist die nicht nur an Jahren, sondern auch an Kindern und sozialem Engagement (Pflegekinder) reifste Autorin der Klasse. Grund genug, findet Ursula Krechel, für ein spätes Debüt. Es geht in ihrem Text um vier Frauen, die einen Mann lieben. Christof Hamann wiederum stammt aus Essen, sein Text oder Roman heißt „Seegefroren“. Das unübliche Wort bezeichnet das Phänomen des zugefrorenen Bodensees. Es geht um ein Archiv, um Hochwasser und die Suche nach im Eis verschollenen Jugendlichen.

Schließlich Renate Baum, die Webdesignerin und schon mal in Paris war. Sie liest über einen Serienmörder, einen hässlichen jungen Mann aus sozial schwachen Verhältnissen. Ein heiterer Text, was bei diesem Thema nicht gerade selbstverständlich ist. Überhaupt ist noch anzumerken, dass eine gewisse Heiterkeit der Texte sich leicht überträgt auf das wohlwollende Publikum, das von der fast burlesken Abfolge von Unglaublichkeiten zu prustenden Lachsalven animiert wird. Auch Miriam Bosses Text mit sehr vielen Onkels, Tanten, Nachbarn und Bekannten ist lustig und löst regelrechtes Massengelächter aus. Den Abschluss bildet Martin Prinz, der Sportreporter werden will, und für seinen Roman „Troller“ bereits den Anerkennungspreis Literatur des Landes Niederösterreich bekommen hat. Sein Held Troller fährt mit der Bahn, dann geht er durch die Stadt, Farb- und Wärmetöne an seinen Augenlidern. Ein Held, der sehr viel denkt.

Am Ende gibt es Blumen und Wein für Ursula Krechel als Dank für ihren Einsatz für ihre Schützlinge. Betont wird, dass dieser Einsatz keineswegs selbstverständlich sei. FALKO HENNIG