Atomkraft? Yes Please!

In den USA werden Laufzeiten alter AKWS verlängert und Meiler mit Gewinn verkauft. Ursache für den Atom-Boom sind die Deregulierung im Strommarkt und steigende Gaspreise. Die Anti-AKW-Bewegung entmottet ihr Demo-Material

aus New York NICOLA LIEBERT

So kann man sich irren: Innerhalb von zehn Jahren wird ein Viertel aller Atomkraftwerke in den USA stillgelegt, weil sie sich einfach nicht rechnen, sagte 1992 die Investmentbank Lehman Brothers voraus. Stattdessen werden die Laufzeiten von AKWs verlängert, in den letzten Monaten haben vier der 103 Kraftwerke ihre Laufzeit um 20 Jahre verlängert bekommen. Atomkraftwerke erzeugen jetzt ein Viertel mehr Strom als noch 1990. Und die Anti-AKW-Bewegung holt die Transparente aus der Mottenkiste.

Energieengpässe wie in Kalifornien, wo vergangenes Wochenende Stromalarm ausgelöst und eine Abschaltung angedroht wurde, bescheren der noch vor kurzem als aussterbende Gattung bezeichneten Energieform ein neues Leben. Vor ein paar Wochen sprach das industriefreundliche Nuclear Energie Institute sogar das bis vor kurzem noch Undenkbare aus: Neue Atommeiler sollen her. Dabei hatten sich praktisch alle amerikanischen AKW-Gegner darauf verlassen, dass die mangelnde Wirtschaftlichkeit das langsame Aus für die Atomindustrie bringen würde. Debbie Katz, eine Aktivistin, hat jetzt wieder einen alten Campingbus mit dem Zeichen für Radioaktivität bemalt und tourt damit durch Vermont im Nordosten der USA. Dort ist das AKW Vermont Yankee, eine der ältesten Anlagen in den USA, gerade Objekt der Begierde mehrerer Betreiberfirmen.

Die Preise, die für Alt-AKWs geboten werden, haben sich in den letzten Jahren verzehnfacht, hat das kalifornische Electric Power Research Institute beobachtet. Für Vermont Yankee, wo schon Risse in der Ummantelung des Reaktorkerns auftreten, wurden im Oktober zunächst 23,5 Millionen Dollar geboten – aber jetzt nähert sich der Preis schon der 100-Millionen-Dollar-Marke. Der Käufer dürfte als erstes die Verlängerung der Laufzeit des Schrottreaktors beantragen. „Die Vorstellung eines 60 Jahre alten Reaktors macht mich nervös“, sagt Katz.

Der Damm für die AKWs brach, als das AKW Calvert Cliffs südlich von Washington im letzten Jahr als erstes in den USA die Verlängerung der Laufzeit von ursprünglich 40 auf 60 Jahre bewilligt bekam. Eine Anti-Atom-Szene, die so etwas hätte verhindern können, gab es da schon nicht mehr. Jetzt laufen die Anträge auf Verlängerung schon für ein Drittel der AKWs. Für die Betreiber ist die Verlängerung ein Supergeschäft. Die Aufwendungen, um den Antrag für die zwei Calvert-Cliffs-Reaktoren durchzubekommen, lagen bei 20 Millionen Dollar. Ein neues Kraftwerk hätte ohne weiteres das 40- bis 50fache gekostet, rechnet Barth Doroshuk von der Unternehmensberatung Constellation Nuclear Service. Diese hilft AKW-Betreibern bei den Anträgen für die begehrte Verlängerung.

Möglich werden diese Art von Superdeals durch die Deregulierung des Energiesektors. In vielen Bundesstaaten erlauben jetzt die Gesetze den AKW-Betreibern, von Stromkunden höhere Preise zu verlangen, um damit die Schulden für die teuren Kraftwerke zurückzuzahlen. Die Schulden können zugleich von den Anlagen abgetrennt werden. Die Kraftwerke können somit schuldenfrei verkauft werden, während die Stromverbraucher noch immer dafür blechen.

Solch ein schuldenfreies AKW erzeugt dann Strom zu unschlagbaren Preisen – zumal jetzt, wo Gas so teuer geworden ist. Die USA haben aus Umweltschutzgründen in den vergangenen Jahren in der Energieversorgung vor allem auf Gas gesetzt. Dessen Preis hat sich aber 2000 vervierfacht, während die Atomstrompreise gleich blieben.

Die Deregulierung in etwa der Hälfte der Bundesstaaten ist zudem wesentlich daran schuld, dass derzeit der Strom knapp und teuer ist. Seitdem sind nämlich Energieversorger und -erzeuger getrennt. Die Versorger zahlen nun teilweise Fantasiepreise von bis zu 1.000 Dollar pro Megawattstunde für den Zukauf von Strom – 50 Mal so viel wie der Marktpreis zu Beginn des Sommers – um die Stromversorgung aufrecht zu erhalten. Den Erzeugern kann das nur recht sein. Sie nehmen allemal mehr Geld ein als durch den Bau kostspieliger neuer Kraftwerke. Auch politisch spürt die Atombranche Rückenwind. Der künftige Präsident George Bush hat schon im Wahlkampf betont, dass seiner Ansicht nach die Atomkraft eine entscheidende Rolle dabei spielen solle, den Energiehunger der Amerikaner zu befriedigen.