Mumifizierte Erinnerung

■ Konzert mit Gespräch: Der Geiger und Theresienstadt-Überlebende Paul Kling erinnert an die Komponisten Pavel Haas, Viktor Ullmann, Hans Krasa und Gideon Klein

Er tut es nicht um seiner selbst willen. Angesichts dessen, was Paul Kling erlebt hat, sind Kategorien wie Selbstbeweihräucherung bedeutungslos geworden. Auch das Heischen von Mitleid angesichts der Tatsache, dass er als einer der wenigen Musiker das KZ Theresienstadt überlebte, liegt ihm fern. Denn zu absurd, zu wenig erklärbar ist die Erfahrung, dass nur ein Promillesatz der Häftlinge gerettet wurde, zu aussichtslos die Frage nach den Gründen für Nazi-Auswüchse, auch wenn es an massenpsychologischen und historischen Erklärungen nicht mangelt, ohne dass das Phänomen des Rassenwahns dadurch letztlich hinreichend begreifbar würde. Und als irrational mögen Überlebende ihre Rettung, als nie mehr tilgbare Hypothek die tief eingefrästen Bilder empfinden, mit der sie die Nachfolgegenerationen in individuell sehr verschiedener Dosis konfrontieren.

Deshalb geht es dem Geiger Paul Kling auch nicht um seinen eigenen Anteil an der musikalischen Produktion in Theresienstadt. Erinnern möchte er – und deshalb reist der 1928 in Troppau geborene Musiker, der inzwischen im kanadischen Ottawa lebt, eigens zu einer Hamburger Gedenkveranstaltung an – zu Gunsten jener von den Nazis ermordeten Weggefährten, die damals seine Mentoren wurden und von denen außer ihren Kompositionen und den Erinnerungen einstiger Freunde wenig Spuren blieben.

Zu einem Konzert mit Werken der Theresienstädter Musiker und Komponisten Pavel Haas, Viktor Ullmann, Hans Krasa und Gideon Klein ist, wer Interesse hat, jetzt ins Rathaus geladen; organisiert wurde die Veranstaltung von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die den Abend, so die Vorankündigung, all jenen widmet, „die wie Paul Kling ihre Kindheit in nationalsozialistischen Lagern und Ghettos verbringen mussten.“

Als Konzertveranstaltung mit Zeitzeugengespräch ist die Veranstaltung konzipiert, in der Kling, der schon siebenjährig als Solist mit den Wiener Symphonikern spielte, unter anderem von den Proben im Lager berichten will. Im musikalischen Teil werden dann die Vier ernsten Gesänge von Johannes Brahms refrainartig wiederkehrend mit Werken der vier Theresienstädter Komponisten verwoben, von denen nur Karel Reiner den Holocaust überlebte.

Eine Einführung ins Programm wird Volker Ahmels, Pianist und Direktor des Schweriner Konservatoriums geben, der seit 1996 Musikprojekte zur Erinnerung an Theresienstadt initiiert und der 1997 in den Hamburger Kammerspielen das Projekt Musik war Hoffnung auf Leben mit Werken Theresienstädter Komponisten konzipierte. In Schwerin wurde unter seiner Ägide die Kinderoper Brundibar von Hans Krasa aufgeführt; darüber hinaus organisierte er 1999 einen Meisterkurs in Israel mit deutschen und israelischen Studenten. Im Januar 2001 rief Ahmels in Schwerin den Wettbewerb Verfemte Musik ins Leben, weil er glaubt, dass allein die von Verschweigungen befreite Sicht auf den Zusammenhang von Geschichte, Musik und Erinnerung als „Brücke für die Zukunft“ fungieren kann.

Vielleicht, weil unter in KZ-Folter entstandene Musik auch nach dem Tod sämtlicher Zeitzeugen als „konserviertes“ und damit nicht vergängliches, unwiderrufbares, authentisches Material für den Versuch steht, wenigstens akustisch die Enge des Geistes jener Schergen zu überwinden, die die Musiker oft genug zur Propaganda, zu sadistischen Verscharrungszeremonien oder schlicht zu ihrer eigenen kleinen Erbauung missbrauchten.

Petra Schellen

23. Januar, 19.30 Uhr, Kaiser-saal des Hamburger Rathauses