Keine Abschiedstränen für Estrada

Auf den Philippinen wird die bisherige Vizepräsidentin Gloria Macapagal Arroyo unter großem Jubel zur neuen Präsidentin vereidigt. Der bisherige Präsident Joseph Estrada konnte nur noch zurücktreten. Jetzt muss er mit einer Anklage rechnen

aus Bangkok JUTTA LIETSCH

Die schwere politische Krise auf den Philippinen ist am Samstag unblutig zu Ende gegangen: Der höchste Richter des Landes vereidigte vor einer jubelnden Menschenmenge in Manila die 53-jährige bisherige Vizepräsidentin Gloria Macapagal Arroyo zum 14. Staatsoberhaupt. Als eine ihrer wichtigsten Aufgaben bezeichnete sie in ihrer Antrittsrede, die zerrüttete Wirtschaft in Gang bringen, den Armen zu helfen und die von Skandalen und Korruption verschreckten Investoren wieder ins Land zu holen. „Jetzt ist die Zeit, zu versöhnen und aufzubauen“, rief sie.

Erst unmittelbar zuvor war der unter schwerem Korruptionsverdacht stehende bisherige Präsident Joseph Estrada zurückgetreten. Seine Stellung war unhaltbar geworden, nachdem ihm Armee- und Polizeiführung sowie etliche Minister am Freitag die Unterstützung entzogen und sich teilweise den hunderttausenden Demonstranten angeschlossen hatten. In Manilas Straßen herrschte die Atmosphäre der „People Power“-Revolution“, die 1986 den Diktator Marcos zu Fall brachte. Als Estrada bis zuletzt den Rücktritt verweigern wollte, stimmte der Oberste Gerichtshof der Vereidigung Arroyos als neuer Präsidentin zu. Begründung: Estrada sei nicht mehr regierungsfähig.

Begleitet von Militärchef Angelo Reyes und einer Schar schluchzender Anhänger verließ Estrada den Präsidentenpalast durch den Hinterausgang und fuhr zu seinem Haus im Stadtteil San Juan, wo er seine politische Karriere als Bürgermeister vor 31 Jahren begonnen hatte. „Ich fühle mich sehr schlecht. Ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte“, kommentierte er sichtlich schockiert seinen Sturz.

Zum zweiten Mal in der Landesgeschichte hat eine Melange aus frustrierter Mittelschicht, besorgten Unternehmern, einflussreichen Kirchenleuten und abtrünnigen Militärs eine Frau aus der Oberschicht an die Spitze des Landes gesetzt. Die frühere Präsidentin Corazon Aquino, die 1986 auf ähnliche Art den Diktator Ferdinand Marcos ablöste, unterstützte Arroyo von Anfang an. Diese ist Tochter des früheren Präsidenten Diosdado Macapagal und gilt wie Aquino als fromme Katholikin, die im Unterschied zum trinkfreudigen Frauenheld und Glücksspieler Estrada früh aufsteht, hart arbeitet und eifrig betet. Auch der einflussreiche Kardinal Jaime Sin und Expräsident Fidel Ramos scharten sich um Arroyo, als sie an einem Schrein am Stadtring Edsa – dem Ort des Sieges über die Diktatur 1986 – ihren Amtseid schwor. Sin jubelte: „Das Land ist das Ihre, die Präsidentschaft ist die Ihre, wir lieben Sie.“

Arroyo ernannte zunächst den früheren Senator Alberto Romulo zum Finanzminister. In Anspielung auf die von Bestechung und Günstlingswirtschaft geprägte Regierungszeit Estradas versprach die promovierte Ökonomin Arroyo eine „neue Politik“, die nicht mehr auf „Beziehungen und Patronage“ aufgebaut werde. Das allerdings ist ein hohes Ziel in der von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten philippinischen Politik, an dem schon viele gescheitert sind.

Estrada, der 1998 mit der bislang höchsten Stimmenmehrheit zum Präsidenten gewählt wurde, muss jetzt mit einer Anklage rechnen. Ihm wird vorgeworfen, sich illegal rund 136 Millionen Mark angeeignet zu haben. Ein Ombudsmann will heute mit Ermittlungen wegen krimineller Ausplünderung öffentlicher Kassen beginnen. Mehrere Geschäftsfreunde Estradas verließen bereits das Land.

Auch im Ausland hat der Machtwechsel Erleichterung ausgelöst. UNO-Generalsekretär Kofi Annan und die Regierungen der USA und Japans beglückwünschten Manila zur friedlichen Lösung der Krise.