IN DER US-RÜSTUNGSPOLITIK ZEICHNET SICH EINE DRAMATISCHE WENDE AB
: Einsame Blockade

US-Präsident George W. Bush will ein nationales Raketenabwehrsystem forcieren – obwohl das Projekt von vielen europäischen Verbündeten abgelehnt wird. Sie befürchten, dass ein neuer Rüstungswettlauf entsteht. Doch so sehr sich Aufmerksamkeit und Kritik momentan auf diesen Raketenschild konzentrieren: Es sollte nicht dazu führen, dass eines der drängenden anstehenden Abrüstungsprojekte aus den Augen gerät, das zu Clintons außenpolitischem Erbe gehört. Es ist der Atomteststopp-Vertrag (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, CTBT). Dieses Abkommen von 1996 verbietet weltweit alle Atomtests; die Einhaltung wird durch ein internationales Überwachungssystem kontrolliert. Würde CTBT durch Bush abgelehnt, so wäre dies ein dramatischer Wandel in der amerikanischen Außenpolitik, denn alle US-Präsidenten seit Eisenhower haben ein überprüfbares Verbot von Atomtests unterstützt.

Zur Erinnerung: Im Oktober 1999 hatte der republikanisch geführte US-Senat die Ratifizierung des CTBT abgelehnt und damit Präsident Clinton eine seiner schwersten außenpolitischen Niederlagen beigebracht. Dafür waren zum Teil persönlichen Rachegedanken verantwortlich, nachdem das Amtsenthebungsverfahren wegen Monica Lewinsky gescheitert war – doch gab es auch substanzielle Gründe. Gegner des Vertrages hatten argumentiert, ein Atomtestverbot sei nicht überprüfbar und die USA könnten die Zuverlässigkeit ihrer Nuklearwaffen nicht ohne eigene Atomtests garantieren.

Ohne die US-Ratifizierung bleibt das Atomtestverbot in der Schwebe. Einhundertsechzig Nationen – fast 90 Prozent aller Staaten – haben den Vertrag unterschrieben, 69 ihn ratifiziert. Mittlerweile sind die USA das einzige Nato-Mitglied, das den Vertrag nicht ratifiziert hat. International drohen sich die USA in dieser Frage zunehmend zu isolieren. Plötzlich finden sie sich an der Seite von Hardlinern wie Indien, Pakistan und Nordkorea.

Gegenwärtig legt die Bush-Administration ihre Haltung in der Teststopp-Frage fest. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, ein Gegner des Teststopp-Abkommens, hat sich in den Kongressanhörungen prinzipiell aufgeschlossen gezeigt. Der neue Außenminister Colin Powell hat dagegen seine frühere Unterstützung des CTBT relativiert und eine baldige Ratifizierung abgelehnt. Nicht öffentlich festgelegt hat sich bisher Bush, der sich im Wahlkampf für eine Fortsetzung des Nukleartestmoratoriums ausgesprochen hat, aber eine Ratifizierung des CTBT ausschloss.

Dabei liegt der Atomteststopp-Vertrag durchaus in Bushs Interesse. Er könnte so die Kritiker seiner Raketenabwehrpläne und die europäischen Verbündeten besänftigen. Innenpolitisch wäre es ein Symbol der Versöhnung zwischen den Parteien, die Bush braucht, um politisch handlungsfähig zu sein. Doch jenseits dieser taktischen Erwägungen ist ein globales Atomteststopp-Abkommen auch strategisch im amerikanischen Interesse: Es würde den nuklearen Vorsprung der USA festschreiben. Die Amerikaner sind weltweit führend in der Computersimulation von Kernexplosionen und anderen Test-„Ersatztechnologien“. Ein Ende der Atomtests würde verhindern, dass Staaten, die bisher keine oder nur „einfache“ Atomwaffen besitzen, auf der nuklearen Leiter nach oben klettern.

Sollten die USA sich jedoch entschließen, den CTBT abzulehnen und am Aufbau eines Raketenabwehrsystems festzuhalten, käme dies international einer Blockadepolitik gleich. Die Europäer müssen klarmachen, dass ein solcher Rückzug der USA aus der multilateralen Rüstungskontrolle katastrophal ist. Allerdings können auch ohne die Vereinigten Staaten Fortschritte erzielt werden: das Verbot von Landminen und der internationale Strafgerichtshof sind gegen den Widerstand Washingtons verhandelt worden. Wenn Bush wichtige Rüstungskontrollvorhaben tatsächlich ablehnt, sollte Europa bereit sein, diese Lücke auszufüllen. Das wird, gerade von Deutschland, größere finanzielle und politische Anstrengungen verlangen. Aber eine wirkliche Alternative zur Fortsetzung der globalen Rüstungskontrolle gibt es aus europäischer Sicht nicht – unabhängig davon, wie sich die USA entscheiden. OLIVER MEIER

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der NGO Verification Research, Training and Information Centre in London. VERTIC (www.vertic.org) setzt sich für verbesserte Überprüfungsmechanismen internationaler Verträge ein.