Wildwest im Call-Center

Die Friedrichshainer Hotline GmbH entlässt mehr als 15 Mitarbeiter. Sie haben sich für die Gründung eines Betriebsrats eingesetzt. „Der Betriebsfrieden wurde gestört“, sagt der Geschäftsführer

von RICHARD ROTHER

Mehr als 15 Beschäftigte, die sich im Friedrichshainer Call-Center Hotline GmbH für die Gründung eines Betriebsrats eingesetzt haben (taz berichtete), sind fristlos entlassen worden. „Das ist eine Riesensauerei“, sagte gestern Tim Herudek, einer der Initiatoren des Betriebsrats. Am Freitag habe ein Treffen zwischen den Beteiligten stattgefunden, so Herudek. Nachdem er auf dem Betriebsrat bestanden habe, habe sich die Geschäftsführung Bedenkzeit erbeten. „Nach fünf Minuten waren die wieder da und sagten: ‚Sie sind entlassen.‘ “

Geschäftsführer Hartmut Horst bestätigte gestern die Kündigungen. Ein Zusammenhang mit der Betriebsratsinitiative bestehe jedoch nicht. „Das waren alles individuelle Gründe“, sagte Horst, der selbst „aus einer linken Tradition“ komme. Die Kündigungen hätten mit der Atmosphäre im Betrieb zu tun: „Der Betriebsfrieden wurde gestört.“

Die Störung des Betriebsfriedens – das war offenbar der Versuch einiger Beschäftigter, eine Mitarbeitervertretung durchzusetzen. Als im Dezember rund 40 Mitarbeiter entlassen wurden, weil ein Kunde seinen Auftrag reduziert hatte, wurden viele Angestellte unsicher. Sie wollten eine Schutzinstanz installieren. Horst lehnte immer wieder ab. Vor einer Woche demonstrierten rund 50 Menschen vor dem Firmensitz für einen Betriebsrat. Der Geschäftsführer schien darauf einzugehen. Am Freitag dann kamen die Kündigungen.

IG-Medien-Sekretär Hartmut Völlmer ist entsetzt. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Die Beschäftigten würden auf Wiedereinstellung klagen. Zudem erwägt die Gewerkschaft, Strafanzeige gegen den Geschäftsführer zu stellen: wegen Behinderung des Betriebsrats. Dafür kann es Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr geben. Zudem wollen die Betroffenen eine einstweilige Verfügung erwirken, um sich Zutritt zu der morgigen Betriebsversammlung zu verschaffen. Dort soll der Wahlvorstand für eine Betriebsratswahl gebildet werden. Herudek: „Das ist eine Farce. Erst schmeißen sie uns raus, dann wird ein Gremium von ihren Gnaden gebildet.“

In der boomenden Call-Center-Branche – rund 6.000 Beschäftigte arbeiten in mehr als 70 Telefonzentren der Stadt – sind Betriebsräte ohnehin selten. Oft gibt es sie nur in Call-Centern, die durch Auslagerungen aus großen Unternehmen mit starken Gewerkschaftsvertretern entstanden sind. Enstprechend unsicher sind die Arbeitsbedingungen in der Branche: Hire and fire, niedrige Löhne und Arbeit auf Abruf sind üblich. Verbesserungsversuche von Beschäftigten werden meist im Keim erstickt. Die Firma Audioservice hatte erst im Sommer rund 15 Mitarbeiter entlassen. Ihr Vergehen: Sie hatten offen gegen die Verschlechterung ihrer Arbeitsverträge protestiert.

Auch bei Hotline hat es in der Vergangenheit immer wieder Konflikte zwischen der Belegschaft – rund 170 Teilzeit- und 30 Vollzeitkräfte – und der Personalleitung gegeben. In Gesprächen unter vier Augen habe Personalleiter Jürgen Nehm massiv Druck auf Einzelne ausgeübt, wenn die Arbeitsleistung angeblich nicht gestimmt habe, so eine Betroffene. „Ich verstehe nicht, wie man so assig werden kann.“ Immerhin sei Nehm ein Zeit lang Mitherausgeber der linken Gender-Zeitschrift Gigi gewesen.

Für die Entlassenen ist der Konflikt noch nicht ausgestanden. „Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, den Betriebsrat durchzusetzen“, so Herudek. Zudem wird in Mitarbeiterkreisen erwogen, vor der Zentrale des Hauptauftraggebers zu demonstrieren.