Wofür Arbeitslose einen Steuerberater brauchen

Gefüllter Schweinemagen

Es hätte gern ewig so weitergehen können: Monat für Monat wurde das Arbeitslosengeld pünktlich auf mein Konto überwiesen, jedes halbe Jahr musste ich mit leidendem Gesicht der Arbeitsberaterin gegenübersitzen. Ich hatte meine Mappe mit den vorgetäuschten Bewerbungen, und mein größter Trumpf in diesem Spiel war, wenn ich den entsprechenden Druckereichefs, die einen fitten Layouter suchten, erzählte: „Wissen Sie, ich hab ja noch im Bleisatz gelernt.“

Ab und an fragte ich die Arbeitsberaterin, ob sie Schriftsetzer nicht in Schriftsteller ändern könnte. Doch sie nahm es nicht ernst, und ich bekam Fortbildung um Trainingsmaßnahme um Weiterbildung verordnet, so dass ich irgendwann einfach kapitulierte. Es ging nicht mehr. Mir war klar, dass ich ein weiteres psychologisches Bewerbungstraining psychisch nicht verkraften würde, und ich erkundigte mich, ob es Unterstützung für den Weg in die Selbstständigkeit gäbe.

Ich musste ins Zimmer eines anderen Beraters, den Antrag auf Überbrückungsgeld sollte ich am besten persönlich abgeben, dazu einreichen müsste ich die fachkundliche Stellungnahme sowie Umsatz- und Rentabilitätsvorschau eines Steuerberaters, tabellarischen Lebenslauf, Anmeldebestätigung vom Finanzamt, Kapital- und Finanzierungsbedarf. Beim Überbrückungsgeld handele es sich um Kann-Leistungen, aber, fügte der Arbeitsamtsmensch hinzu, die Chancen stünden in meinem Fall gut.

Ich hätte es mir sicher angesichts dieses gewaltigen bürokratischen Aufwandes noch mal überlegt. Doch dann bekam ich die nächste Aufforderung, diesmal zur Teilnahme an einer neunmonatigen Fortbildung. Sie hatten mich kleingekriegt. Die ersten Steuerberater, die ich fragte, lehnten alle ab: Sie rochen das Halblegale, das in der Ausstellung der vom Arbeitsamt verlangten Dokumente lag.

Da traf ich zum Glück auf dem Teutoburger Platz den Verkäufer aus meinem Spätkauf. Ich fragte, wie es so ginge, und er sagte mir, dass sein Film aus dem Milieu der Spätverkaufsläden kommenden Mittwoch im ZDF laufen würde. Als ich ihn fragte, wie es zu einem solchen Karrieresprung kommen konnte, schwärmte er mir von seinem Steuerberater vor: Er bekomme monatlich Schecks vom Finanzamt, der Steuerberater hätte ihm auch die ganzen Bestätigungen fürs Arbeitsamt sehr erfolgreich ausgefüllt.

Der Steuerberater M. war dann wirklich sehr freundlich und kompetent. Vor einigen Dummheiten bei Angaben in der Anmeldung konnte er mich bewahren, den Rest unterschrieb er und riet mir noch, die Unterlagen besser beim Finanzamt nicht abzugeben, sondern einfach in den Kasten zu stecken, sonst würde ich mich womöglich verplappern. Außerdem sollte ich Rechnungen jetzt das ganze Jahr ohne Mehrwertsteuer ausstellen.

Ich hatte mir Schreiben ausstellen lassen von Redakteuren, dass ich ein großartiger Mensch und für die jeweilige Zeitung als Autor ganz unentbehrlich sei. Damit und den Papieren vom Steuerberater machte ich mich auf zu meinem letzten Besuch im Arbeitsamt. Ich kam wieder zu meiner alten Beraterin, bei dem Steuerbescheid war sie sich nicht sicher, ob da nicht noch Selbstständiger draufstehen müsste, aber es ginge wohl so. Das Schreiben von der taz allerdings dürfte sie gar nicht sehen, danach wäre ich ja scheinselbstständig. Zum Schluss: „Sie wollen ein Foto machen? Zur Erinnerung? Wenn’s sein muss.“

Quittungen sammelte ich fortan mit der kühlen Leidenschaft, die allen Freiberuflern dabei eigen ist. Jeder macht es ja etwas anders. Max Goldt, habe ich gehört, leert seine Brieftasche mit Quittungen täglich, ich ungefähr monatlich, was ihr in meinem Fall das Aussehen eines gefüllten Schweinemagens verleiht. Außerdem habe ich für mich ein Quittungsbrett erfunden, ein Brett mit gigantischen nach oben ragenden Nägeln, auf das ich meine Quittungen nach verschiedenen Sachgebieten geordnet aufspieße.

Ich begann, eher aus einem unbestimmten Gefühl heraus, mir selbst Rechnungen für Milchkaffee und Tageszeitungen ausstellen zu lassen; für alles, von dem ich glaubte, es wäre in irgendeiner Form mit meinem Beruf verbunden. Selbst Fahrkarten kaufte ich inzwischen, wenn ich beruflich in der Stadt unterwegs war. Denn so wenig wie das Finanzamt Strafzettel fürs falsche Parken akzeptiert, so wenig würde es doch auch 60 Mark Geldbuße fürs Schwarzfahren anerkennen.

Zum Ausgang meiner Steuererklärung kann ich noch nichts Genaues sagen. Ich habe dem Steuerberater nur meine Quittungen, nach Sachgebieten geordnet, zugeschickt und bin neugierig, was passiert.

Übrigens habe ich neulich im Imbiss International schön anhören können, wie ein Gast mit amputierten Fingern seiner Freundin den modernen Strafvollzug erklärt: „Kommste in ’n Knast, machste ’ne Lehre als Steuerfachmann, kommste raus, schreibste ’n Buch, machste ’ne GmbH auf.“ Genau so ist es ungefähr, das kann ich bestätigen. FALKO HENNIG