Die Schattenmenschen

■ Das wunderbare Theater Strahl spielt am Leibnizplatz ein Stück über illegale Flüchtlinge

Die Briten, die haben's gut – denen geht es nämlich richtig schlecht. Ein Land voller frustierter Taxifahrer, strippender Arbeitsloser, koksender Strichjungs und so. Weshalb das hiesige Feuilleton sich vor Freude immer ins Hemd macht, wenn es nach dem Besuch eines Films von Ken Loach (My Name is Joe) oder eines Theaterstücks von Mark Ravenhill (Shoppen & Ficken) wieder mal volle Dröhnung das authentische Leben um die Ohren gehauen bekommen hat.

In Deutschland aber ist ja alles anders. Keine StützeempfängerInnen, keine Arbeitslosen nirgends, weshalb in unseren Kinos die Helden zumeist nicht an zu viel Speed, sondern an zu viel Langeweile leiden. Und wenn dann mal, wie gerade am Bremer Theater in Lukas Langhoffs Regiedebüt „Sucking Dublin“ zu beobachten, ein sozialkritischer Stoff von der Insel inszeniert wird, macht der Regisseur eine alberne Farce daraus, in der die Drogen gleich eimerweise verdrückt werden und das Leben als groteskes Splattermovie daherkommt. Woran das liegt? Nun, vielleicht daran, dass in Deutschland die DrehbuchschreiberInnen zu viel vor der Glotze oder auf verkokst-verblasenen Premierenpartys rumhängen und nicht dort, wo Tchibo, Johnny, Carmen, Kebab, Maria und Diana ihren grauen Alltag verbringen müssen.

Ein Silvesterabend in Berlin, eine Edelpizzeria, geleitet vom Schweinechef Charly (Christian Giese), der sechs Mark die Stunde zahlt und meint, in dem Preis ist auch mal ein Griff an Dianas (Vernessa Berbo-Kellner) Bluse drin. Diana hält still, sie ist den ersten Tag da, da sagt man noch nix. Vor allem, wenn man keine Papiere hat. Charly weiß das auszunutzen, genauso wie Carmens (Marie-Hélène Echard) Angst vor der Gesundheitsbehörde, Marias (Caroline Sánchez) vergebliche Hoffnung auf eine Scheinheirat oder Johnnys (Leonardo Nigro) Drogenabhängigkeit.

Auch sie schlucken letztlich jede Demütigung. Denn schlimmer noch als Charly ist die drohende Abschiebung: Nach Bosnien, Russland, Kuba in die Türkei oder wo auch immer einen der Herrgott einst so zufällig hingerotzt hat. Das altbekannte Spiel von Angebot und Nachfrage hat sie in Charlys Pizzaküche zusammengebracht: Hoher Profit und mieser Lohn passen gut zusammen, und wer keine andere Wahl hat, akzeptiert auch Inakzeptables.

Trotz dieser Thematik ist „Dirty Dishes“ genau das, was es im Untertitel verspricht: eine „social comedy“. Zu lachen gibt es nämlich viel im Theater am Leibnizplatz, weil die acht Figuren vom türkelnden Macho Kebab (Nurkan Erpulat) bis zur temperamentvollen Carmen in ihrem jeweiligen Milieu witzig-pointiert getroffen und weit davon entfernt sind, als bloße Mitleidserreger zu fungieren.

Doch zwischen fetzigen Raps, akrobatischen Kochperfomances und spritzigen Dialogen bleibt in diesem wirklich sehenswerten Stück eben auch viel Platz für das, was soziale Wirklichkeit für 500.000 Illegale in Deutschland ist: Der Kampf gegen jeden um jede Mark, die Sehnsucht nach ein biss-chen Schlaf und die täglich erniedrigende Erfahrung, dass man kaum mehr ist als der allerletzte Dreck. So was endet auf der Bühne nicht gut, weil es auch im Leben nicht gut endet. Ein Toter liegt schließlich auf dem Küchentisch, und Charly verteilt die Messer. Muss ja weg, der Scheiß, wenn's denn weitergehen soll wie bisher.

Apropos: Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass der Regisseur Fereidoun Ettehad ein gebürtiger Iraner ist und das Stück selbst von einem Briten geschrieben wurde?

Franco Zotta

Weitere Aufführungen: Heute um 11 und 19.30 Uhr, morgen um 11 Uhr im Theater am Leibnizplatz. Karten & Infos: Tel.: 500 333