Okay, Horst, halte durch!

Ein Blumenhändler packt aus. (In vier Tagen ist Valentinstag.)

von CORNELIA KURTH

Vergebens hat er die Vorhänge seines Abteiles im Zug Berlin–Amsterdam kunstvoll ineinander verhakt, damit bloß niemand hereinkäme, mit dem er reden muss. Gerade, weil die Zugreisende peinlich lange Sekunden versucht hatte, den Eingang freizuwurschteln und schließlich mit ganz zerzausten Haaren das Abteil betrat, wollte sie keinen Rückzieher machen. „Hier sind alle Plätze besetzt! Na ja – alle bis auf einen ...“, sagt er mit keckem Verweis auf einen hochgeklappten Klappsitz und indem er sein Handy ein wenig vom Ohr weghält, ein etwas derber, etwas dicker Mann Mitte dreißig, dessen Füße, von den Schuhen befreit, auf einem der „besetzten“ Plätze liegen und Geruch verströmen. Dann telefoniert er unverdrossen weiter: „... ich dachte, die Alte kann mir mal mit ihrem Geld, das geht mir so was den Rücken runter, ich spring nich, wenn sie pfeift, ich ...“ Die Zugreisende hat sich eingerichtet und liest Zeitung.

„Hallo? Hallo? Ick sach grad, die alten Weiber, die kann ich gar nicht ab, nee, ich mag sie nicht! Ach Schatz, du, du bist doch nicht alt, du bist mein Liebling, weeßte doch, wie dat Jeschäfte läuft.“ Schon wieder bricht die Verbindung ab, aber da klingelt gleich das zweite Handy: „O Mäuschen, hast die Operation überstanden? Bin bei Hannover, ja, Mäuschen, wird schon wieder.“

Legt auf, spricht neu: „Was denkst du denn, ich geh doch nicht zu der Tante, nur weil sie einen dicken Benz fährt, Schatz, du bist die Einzige! Die Alte kann mich am Arsch lecken – Tschuldigung!“ Das ist zur Zugreisenden mit ihrer Zeitung gesagt. Die Handyverbindungen kommen, gehen, brechen schließlich ganz zusammen und da besinnt er sich noch mal entschuldigend auf seine ungebetene Abteilgenossin. „Ich fahr die Strecke ja ein paar mal die Woche, immer acht Stunden, Berlin–Holland oder Holland–Berlin, verstehn Se, da ist man ganz gern mal allein im Abteil, einfach Ruhe haben und mit niemandem reden. Aber“, er grinst breit, „wenn dann so ne hübsche Frau neben einem sitzt, also, ich handel mit Blumen, mein Chef und ich, mit Blumen. Wir holen die Pflanzen frisch aus Holland, ich schlaf in der Kabine vom Laster, um fünf ist die Nacht vorbei, ich fahr die Ladung nach Berlin, und dann sieh zu, wie du sie gut losschlägst.“

Er, der Blumenhändler, nimmt seine Füße vom Sitz und zieht die Schuhe an. „Ne, ne“, fährt er dabei locker fort, „ich hab da meine festen Kunden, Blumenläden, ganz solide. Nur die Preise, die handel ich jedes Mal neu aus, das ist es ja, was so anstrengend ist! Mein Gott, das sind ja alles Frauen, die die Blumen einkaufen, und denen muss ich schon ein bisschen Honig um die Lippen schmieren, damit das richtige Angebot kommt. Ach ja!“

Er stöhnt lustig auf und jetzt erst merkt die Zugreisende, dass er eigentlich ein ganz gutmütiger Kerl ist, an seinen Augen merkt sie das, die lustig blicken und doch auch müde, müde sind. Der Blumenhändler hat jetzt seine beiden Handys ausgestellt: „Meine Frau versteht das, die Sache mit den Blumenhändlerinnen, dass ich ihnen Honig ums Maul schmiere, sie weiß, was ich durchmache. Die andere, na ja, die ist nur so ein Spaß nebenbei, eine Nette, aber verstehen tut mich nur meine Frau. Und Handy Nummer drei, das stelle ich ja überhaupt erst in Holland an, was zu viel wird, wird zu viel. Ich muss ja so schon immer schönreden, wissen Sie. Die Frauen, die gehen nicht nach dem Angebot, die gehen nach dem Kerl! Die brauchen einen, der lieb zu ihnen ist. Und dann kaufen sie. Mein Gott, sie weinen sich bei mir aus, ich kann es fast schon gar nicht mehr, seit elf Jahren, seit dem Mauerfall mach ich das jetzt, und alle, alle Blumenhändlerinnen weinen sich bei mir aus. Ich kenne sämtliche Familiengeschichten von sämtlichen Blumenläden, die ich je beliefert habe, ich und mein Chef. Ich sach mal: Von achtzig Prozent aller Blumenhändlerinnen weiß ich, wann sie ihre Tage haben! Die Alten, das sind die schlimmsten, die schmeißen sich richtig ran an mich, als wär ich ihre letzte Chance. Denen ist es egal, ob ich schon seit acht Uhr morgens alle Läden abgeklappert habe und tausendmal eingeladen wurde, nein, ich muss mit ihnen essen gehen. Ich sach mir: Okay, Horst, halte durch, die Alte bringt dir dreitausend Mark, es muss sein!“

Die Zugreisende hat längst ihre Zeitung weggesteckt, bereit, mit offenen Ohren und kleinen Zwischenfragen den Preis für ihr dreistes Eindringen in das eigentlich so gut abgeschottete Abteil des Blumenhändlers zu zahlen.

„Urlaub? Wann kann ich schon mal Urlaub machen. Ich fahr ja sogar, wenn ich krankgeschrieben bin, da halten wir zusammen, ich und mein Chef, jeder springt für jeden ein, Saison ist fast immer: Totensonntag und die Adventsgestecke, die ganzen Weihnachtssterne. Nach Silvester, da macht mein Chef ne Woche Urlaub und danach ich. Und dann ist wieder Valentinstag, Pfingsten, Ostern und nach den Ferien ersetzen alle ihre vertrockneten Topfpflanzen, Urlaub, ja, den könnte ich brauchen, am besten am Nordpol. Doch, doch, ich mag Blumen, so ist das nicht. Ich mag ja auch die Blumenhändlerinnen. Ich bin nun mal so einer.“

Könnten Sie nicht“, wirft die Zugreisende ein, „könnten Sie nicht den Netten unter den Blumenhändlerinnen auch mal eine Blume schenken, ohne viele Worte, hm?“ Der Blumenhändler stutzt. Braucht ein paar Sekunden, um sich zu fassen, um laut herauszulachen: „Was? Ich? Blumen verschenken? Na, das wär ja noch schöner! Ich verschenk doch keine Blumen! Ich sag vielleicht mal: Hier, gute Frau, nehmen Sie das und das und das, die Ware muss raus, das Angebot steht. Aber verschenken? Meine Blumen? Blumen sind Geschäft, da soll man mal nichts durcheinander bringen.“

Er lacht immer noch, als eine Durchsage kommt und die Zugreisende ihre Sachen zusammenpackt. „Ach“, sagt er. Enttäuscht. „Ach, Sie müssen schon aussteigen? Wie schade.“ Und zieht die Vorhänge sehr gründlich hinter ihr zu.

CORNELIA KURTH, 40, lebt als freie Journalistin in Rinteln