„Bafög“ für Kinder

Die brasilianische Regierung verkündet die Verzehnfachung der Mittel für den Schulbesuch armer Kinder, um die Kinderarbeit einzudämmen

SÃO PAULO taz ■ Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso hat am Montag angekündigt, schon in diesem Jahr umgerechnet 1,85 Milliarden Mark für das Programm „Bolsa Escola“ („Schulstipendium“) bereitzustellen – zehnmal so viel wie im Jahr 2000. Damit können bis zu 10,7 Millionen Jungen und Mädchen einen Zuschuss von rund 16 Mark im Monat beziehen. Nach Regierungsangaben müssen in Brasilien neun Millionen Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren regelmäßig arbeiten, um das Familieneinkommen aufzubessern. Jede Familie mit einem monatlichen Pro-Kopf-Einkommen unter 95 Mark kann bis zu drei Kinder anmelden.

Als „Vater“ des Programms gilt der Exgouverneur Brasílias, Cristóvam Buarque, von der oppositionellen Arbeiterpartei (PT). Er hatte dort 1994 das Stipendium eingeführt. Die Bundesregierung übernahm 1999 die Idee. Weil jedoch das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in jeder Gemeinde als Berechnungsgrundlage galt, fielen Städte mit großen sozialen Gegensätzen durch das Raster. Damit das Programm greift, ist die Arbeit lokaler Behörden entscheidend. Doch erst letzte Woche wurde der Bericht einer Parlamentskommission bekannt, nach dem in den letzten Jahren in 359 Gemeinden Mittel für das Bildungswesen in dunklen Kanälen versickerten. „Korruption bei Sozialprogrammen ist ekelhaft und inakzeptabel“, sagte Cardoso. Deshalb erhalten nun die Mütter der berechtigten Kinder eine Magnetkarte, mit der sie das Stipendium bei Banken abheben können. So soll verhindert werden, dass Gemeindeangestellte die Gelder veruntreuen.

Die Maßnahme dürfte auch im Zusammenhang mit dem Präsidentschaftswahlkampf 2002 stehen. Die Rechtspartei PFL drängt den Präsidenten, die Sozialausgaben zu erhöhen, um dem Regierungskandidaten eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen. Die Schulstipendien werden aus einem kürzlich eingerichteten „Fonds zur Armutsbekämpfung“ finanziert. Cardosos Vorstellung des Programms in einer Trabantenstadt Brasílias hatte denn auch fast schon den Charakter einer Wahlkampfrede: „Dies ist das Brasilien der Zukunft, mit mehr Bildung, höherem Einkommen und ohne Korruption.“ Die Gefahr parteipolitischer Instrumentalisierung gilt auch für PT-geführte Verwaltungen. So möchte São Paulos Bürgermeisterin Marta Suplicy die Bundesmittel und ähnliche Programme der Landesregierung mit ihrem eigenen Projekt „Mindesteinkommen“ koppeln.

GERHARD DILGER