Hirsch in Turnschuhen

■ Beim HSV wollten sie ihn nicht. Jetzt spielt der gebürtige Hamburger Otto Addo bei Borussia Dortmund

Normalerweise hat Otto Addo immer einen Fußball mitgebracht, wenn er als kleiner Junge in den Sommerferien nach Ghana geflogen ist. Der war dann nach kurzer Zeit weg, weil Kinder in der Nachbarschaft oftmals größer waren. Also haben Addo und seine Freunde barfuß mit einem aus Socken geflochtenen Knäuel weitergespielt. Zwei Steine markierten das Tor, in das das rollende Wollbündel zu befördern war.

Die schönsten Zeiten seines Lebens seien die alljährlichen sechs Wochen in Ghana gewesen, sagt der gebürtige Hamburger. Nun wohnt er in Dortmund und spielt morgen für die Borussia gegen den HSV. In seiner Heimatstadt galt er stets als Talent, aber als er 1999 Hannover 96 verließ, wollte ihn keiner der hiesigen Profiklubs verpflichten.

Vielleicht wäre er aber gerne noch einmal der kleine Junge, der mit 15 Jahren beim Arzt – natürlich wegen einer Fußballverletzung – den damaligen Düsseldorfer Spieler Anthony Baffoe trifft. Dieser lädt ihn in sein Haus ein, als er hört, dass der Junge deutsch spricht. Er stellt ihn dem liberianischen Nationalspieler George Weah vor. Dem einzigen Idol, das Otto Addo je hatte.

Jung geblieben ist Addo trotzdem. Er fühle sich wie 19 und die Menschen würden ihn auch jünger schätzen als jenes Alter, das durch sein Geburtsjahr bestimmt ist: „Ich dachte immer, mit 25 zieht man keine Turnschuhe mehr an. Da hatte ich früher einfach ein anderes Bild.“ Er trägt weiterhin Basketballschuhe, weite Hosen und eine gestrickte Kopfbedeckung, die seine Rastalocken schützt.

Doch auch an ihm geht die Zeit nicht spurlos vorüber. Der neue Mercedes mit Navigationssystem, die Uhr von Breitling und der Gürtel von Joop sind Ausdruck dessen, dass sich einiges verändert hat. Er spielt nicht mehr beim Bramfelder SV oder beim VfL 93 Hamburg. Seit seinem Wechsel zu Borussia Dortmund ist er Teil eines anderen Gehaltsgefüges. Fast entschuldigend erklärt er, es sei schon immer sein Traum gewesen, einmal einen Jeep zu fahren. Den Gürtel habe er geschenkt bekommen und auf die Uhr habe er 40 Prozent Rabatt erhalten.

Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn man in der A-Jugend beim Hamburger SV Addo nicht erst einige Wochen vor dem Ende der Saison gefragt hätte, ob er nicht in der Amateurmannschaft spielen wolle. Addo hatte den Wink verstanden: „Eigentlich wollten die mich gar nicht haben, also bin ich gegangen.“ Dass er heute für den BVB spielt war eine Bauchentscheidung aus den vielen Erstliga-Angeboten nach der besonderen Spielzeit 1999 in Hannover. „Dortmund war schon immer einer meiner Lieblingsvereine, und ich habe mir das auch zugetraut.“ Viele Freunde hätten ihm von dem Schritt abgeraten. Doch Otto Addo hat die Philosophie des Lebens durchschaut. „Jede Entscheidung, die man trifft, ist richtig, wenn man sie selbst trifft.“

Er hat sich durchgesetzt in Dortmund. In der Hinrunde war er einer der auffälligsten Spieler. Beim Rennen gleicht er mit seiner etwas schlaksigen Figur und den langen Beinen einem Hirsch, der sich wendig und mit enormer Schnelligkeit den Gefahren widersetzt. Weglaufen ist sein Ding nicht. Auch bei Rückständen lässt er sich nicht hängen. Das Einfachste sei doch wohl „zu laufen, zu kämpfen und zu grätschen“. Das habe nichts mit Geld zu tun, sondern mit Einstellung.

Das ist ihm wichtig, dem Sohn eines Arztes und einer Medizinischen Assistentin. Autogramme schreibt er gerne und betont: „Für das Geld, das ich bekomme, könnte ich den ganzen Tag Autogramme schreiben.“ Wenn er zurückgelehnt im Stuhl des Cafés hängt, klingelt alle fünf Minuten sein Handy. Jedes Mal kramt er es hervor, doch nur einmal nimmt er das Gespräch an. Nicht ohne beim Interviewer nachzufragen, ob er damit einverstanden sei. Er hat nicht abgehoben. Addo ist kein Star, wenn es dabei um Allüren geht.

Nach seinem Abitur 1994 hat er neben dem Fußball zwei Semester Sportwissenschaft studiert, dann abgebrochen, „weil ich zu faul war“. Normalerweise könne man das wirklich hinbekommen, nach dem Training noch zu lernen. Aber er habe noch kein konkretes Ziel, also schaffe er es auch nicht. So wie die Geschichte mit dem Kochen. Den Herd in seiner Wohnung braucht der 10-malige Nationalspieler Ghanas eigentlich nicht. Meistens bestellt er sich Nudeln oder isst bei Freunden.

Mit seinen Eltern spricht Otto Addo Englisch oder Twi, eine der vielen Sprachausprägungen in Ghana. In dem afrikanischen Land seien die Menschen lockerer und nicht so strikt. Zeit und Geplantes spiele keine Rolle, sagt er. Trotzdem haben die deutschen Eigenarten auch ihn eingenommen. Nach eineinhalb Stunden schaut Addo auf die Uhr. Er müsse noch in die Stadt fahren – „einkaufen und aufs Amt“. Es wird wieder Zeit für einen Abstecher nach Ghana. Ob mit Fußball oder ohne. Florian Bauer