Architektur der Angst

Parallel zur Fritz-Lang-Retrospektive auf der Berlinale präsentiert Arte einen Querschnitt durch das Werk des Regisseurs. Der Experte für expressionistischen Thrill war selbst „flexibel“ bis zur Zwielichtigkeit („Blinde Wut“, 23.50 Uhr, Arte)

von MICHAEL MAREK

Im Kino schlafen, behauptet ein wunderbarer Aphorismus, heißt dem Film zu vertrauen. Denn beides, Schlaf und Illusion, sind Verbündete der Traumfabrik. Fritz Lang (1890–1976) hat mit seinen Bildern eher beunruhigt. Zu düster, zu pessimistisch war das, was er in über 40 Spielfilmen auf die Leinwand brachte und die jetzt in Auswahl bei Arte als Hommage an den Mann mit dem aristokratischen Monokel zu sehen sind: „Der müde Tod“ (1921), „Dr. Marbuse, der Spieler“ (1922), „Die Nibelungen“ (1924), Titel jener auf echtes Zelluloid gebannten monumentalen Kinomythen, die ihren Schöpfer berühmt machten.

„Blinde Wut“ (1936), seinen ersten Spielfilm nach der Ankunft in den USA, hätten die Studio-Bosse bei Metro-Goldwyn-Mayer dagegen als eine „C-Produktion“ betrachtet, so Fritz Lang später sarkastisch. Entsprechend eingeschränkt seien die Arbeitsbedingungen gewesen.

Gravierender noch als die für Lang ungewohnten, in Hollywood jedoch üblichen gewerkschaftlich vorgeschriebenen Arbeitspausen trafen ihn die höchstpersönlichen Verbote und Vorgaben von Louis B. Mayer selbst: „Als ich die ersten Episoden geschrieben hatte, gab ich sie einem verantwortlichen Mann in der oberen Hierarchie von MGM. Der Held von ‚Blinde Wut‘ war ursprünglich ein Rechtsanwalt. Das hatte ich gemacht, damit er alles genau erklären kann. Das ist ein gebildeter Mensch. Und da wurde mir gesagt: ‚Hör mal zu, das können wir nicht machen, das macht man in Amerika nicht. Der Held muss ein Mann aus dem Volk sein, einer mit dem sich das Publikum identifizieren kann‘ “, erinnerte sich Land in einem Interview kurz vor seinem Tod.

So wird aus dem Rechtsanwalt ein Durchreisender (Spencer Tracy), der in der durch eine Kindesentführung aufgescheuchten Kleinstadt plötzlich – und fälschlich – zum Hauptverdächtigen wird. Ehrenwerte Bürger fordern Vergeltung und wollen Joe Wilson lynchen. Da die Polizei für Ordnung sorgt, steckt der Mob kurzerhand das Gefängnis an. Wilson kann sich in letzter Minute retten – und schwört jetzt seinerseits Rache ... Dem Mann, der kein Anwalt sein durfte, wurden auch gleich noch gewisse Charaktereigenschaften des Originalskripts – aggressive Simplizität, krankhafte Eitel- und Empfindlichkeit – schlicht gestrichen.

Genauso wenig durfte er – wie ursprünglich vorgesehen – arbeitslos sein. Zuletzt wurden noch die Szenen geschnitten, die Schwarze in angeblich unnötigen Zusammenhängen zeigten: Farbige sollten nur als Schuhputzer oder Eisenbahnschaffner gezeigt werden.

Trotz all dieser Konzessionen inklusive hollywoodeskem Happy End, die Lang machte, verzögerte Louis B. Mayer nach der Fertigstellung Uraufführung und Verleih des Films. Und „Blinde Wut“ wurde prompt entgegen allen Erwartungen des Produzenten ein großer Erfolg und gilt heute als einer der besten – und leider am seltensten gezeigten Lang-Filme.

Er, der Ufa-Starregisseur, zeigt sich nach dieser Erfahrung in Hollywood außerordentlich flexibel – und erfolgreich. Lang macht Western wie Rache für „Jesse James“ und antifaschistische Kriminalfilme wie „Menschenjagd“ und „Auch Henker müssen sterben“. Und er gehört mit zu den Gründern der Anti Nazi League, einer Vereinigung prominenter Künstler und Emigranten. Rückblickend hatte Lang immer wieder darauf beharrt, schon mit „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (auf Arte am 19. 2.) und seinem 1932 gedrehten und danach verbotenen „Das Testament des Dr. Mabuse“ (23. 2.) die NS-Gewaltherrschaft vorausschauend thematisiert zu haben.

Doch im März 1933 gründet Lang mit Luis Trenker die Regiegruppe der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation. Ob man dies als zunächst indifferente Einstellung Langs zur NS-Ideologie bewerten kann – quasi aus vorauseilendem Gehorsam und Hinweis auf seine dann später auch in Hollywood praktizierte Anpassungsfähigkeit – oder als Versuch, sich seiner jüdischen Herkunft wegen zu schützen, lässt sich nicht mehr eindeutig klären.

Dagegen ist Lang für eine zweite, wenige Jahre vor seinem Tod aufgekommene Legende selbst verantwortlich: Danach habe ihm Goebbels im März 1933 unter vier Augen die Leitung der deutschen Filmindustrie angetragen – und der entsetzte Lang sei sofort am nächsten Tag ins Exil abgereist. Tatsächlich hat Lang erst vier Monate nach dieser angeblichen Unterredung Deutschland verlassen um in Paris einen neuen Film zu drehen.

Ende der Fünfzigerjahre kehrte Lang kurzzeitig nach Deutschland zurück. Hier drehte er „Das indische Grabmal“ und „Der Tiger von Eschnapur“ (1958) – vom „kindischen Grabmahl“ spricht Lang später: zwei Kolossalfilme, beide unsagbar schlecht in den Dialogen. Was ihm dennoch selbst hier gelingt, ist die visuelle Architektur der Angst.