Geschwindigkeiten

Die kriminell schnellste Blaskapelle der Welt: „Fanfare Ciocarlia“ in der Fabrik  ■ Von Knut Henkel

Kriminell sagt man in Rumänien, wenn Musiker besonders gut und außergewöhnlich schnell sind. Und kriminell geht es wirklich zu, wenn die zwölf Musiker der Fanfare Ciocarlia mit bis zu 200 geblasenen Beats pro Minute zum Tanz bitten.

Auf Hochzeitsgesellschaften sind Fanfare Ciocarlia gern gesehene Gäste: Ihr Spielwitz und das rasante Tempo haben noch jede in eine wilde Tanzparty verwandelt, freut sich Lead-Trompeter Costica „Cimai“ Trifan. Dem sympathischen Mann ist kein Takt zu schnell: In aberwitziger Geschwindigkeit entlockt er seiner Trompete den richtigen Ton und freut sich, das Publikum zu erstaunen. Doch in ihrem Heimatdorf Zece Prajini (Dorf der zehn Felder) spielt die Band immer seltener auf. Das liegt zum einen daran, dass sich kaum jemand mehr eine große Kapelle leisten kann. Zum anderen haben Fanfare von Jahr zu Jahr mehr Verpflichtungen im Ausland. Seit Emir Kusturicas Film Underground ist die Highspeedblasmusik auch außerhalb der Region populär, und davon haben in den letzten Jahren auch Fanfare Ciocarlia profitiert. Ihr Leben zwischen Konzertbühne und ihrem Dorf ist Thema eines Roadmovies, das im Herbst in die Kinos kommen soll.

Stolz sind die zwölf Musiker da-rauf, dass sie die Tradition am Leben erhalten. „Wir sind eine der letzten Tzigani-Kapellen dieser Art in Rumänien“, erzählt Ioan Ivancea, Klarinettist der Fanfare. Mit Noten stehen die Musiker zwischen 25 und 71 Jahren dabei auf Kriegsfuß: Das Repertoire ist von ihren Vätern überliefert worden, die sie wohl auch an Geschwindigkeit übertreffen.

Live lassen sie es jedoch zumeist geruhsam angehen. Klarinettist Ivancea oder Trompeter „Cimai“ eröffnen mit einem einfachen Solo das Konzert, nach und nach kommen die anderen Musiker auf die Bühne und stimmen ein. Nach dem beschaulichen Auftakt zieht Trommler Ion Radu dann das Tempo an. Gemeinsam mit den Tubas und den Hörnern jagt er Klarinetten, Trompeten und Saxophon in halsbrecherischem Tempo von Stück zu Stück. Unbeeindruckt treffen die Musiker exakt den Punkt und finden noch Zeit für ein verschmitztes Lächeln ans Publikum.

Doch Fanfare überzeugen nicht allein durch die wahnwitzigen Tempi, sondern vor allem durch das breitgefächerte Repertoire: Osteuropäische Melodien und orientalische Rhythmen, die über die türkischen Militärkapellen im 19. Jahrhundert Einzug auf dem Balkan hielten, verschmelzen in Stücken wie „Piece de Tarita“.

Im Mittelpunkt der letzten CD der Fanfare stehen vor allem die klassischen Melodien und Tänze der Roma-Clans Rumäniens. Baro Biao, die Große Hochzeit, ist eine Hommage an die eigene Kultur: Die Musiker der Fanfare rechnen sich dem Romavolk der Ursari zu, das seit Generationen mit Musik sein Brot verdient. Leadtrompeter „Cimai“ Trifan tritt jetzt verstärkt als Sänger in Erscheinung. Mit seiner tiefen, vollen Stimme intoniert er „Manea cu voca“ oder das melancholische „Lume, Lume si Hora“, eines der wenigen Stücke, in der die Rhythmussektion der Brassbrand über weite Strecken Pause hat. Begleitet von einer Tuba und einer Trompete kommt beinahe so etwas wie Wehmut auf, bis die Klarinette das Startsignal für den Einsatz der Hörner und die zweite Tuba gibt. Langsam wird der Rhythmus wieder nach oben gezogen und dem wehmütigen Anflug der Garaus gemacht.

Gerade diese Stücke sind es, bei denen man nur den Hut ziehen kann vor der Spielkunst der Musiker, die dann in kleiner Besetzung auf der Bühne stehen und mit gezügeltem Tempo Klassiker wie „Mariana“ intonieren. Doch Rumäniens derzeit populärste Brassband hat nicht nur die klassischen Weisen im Repertoire: Einflüsse moderner Popmusik finden sich auch auf Baro Biao. So ist „Mr. Lobaloba“ eine Fanfarenversion von Shabba Ranks' Raggamuffin-Klassiker „Mr. Loverman“, und auch eine Version des Discohits „One Way ticket... “ sollen Fanfare im Gepäck haben.

heute, 21 Uhr, Fabrik