Hören und Lernen für das neue Jahrhundert

■ Verfechter klassischer Stile: Wynton Marsalis und das Lincoln Jazz Orchestra in der Musikhalle

Der Trompeter Wynton Marsalis begeistert Jazz- und Klassikfans gleichermaßen. Das Time Magazine zählt den künstlerischen Leiter des Lincoln Jazz Center heute zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der USA. Mit ihm wurde erstmals ein Jazzkomponist mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, und er war 1984 auch der erste Musiker, der sich zugleich in den Sparten Klassik und Jazz den begehrten „Grammy Award“ verdiente.

Am 27. Februar gastiert Marsalis mit dem Lindoln Jazz Center Orchestra in Hamburg. Wir sprachen mit ihm über Tradition und Zeitlosigkeit, aktuelle Einflüsse und den Mehrwert des Live-Erlebnisses im Jazz.

taz hamburg: Auf Ihren Plattenveröffentlichungen präsentieren Sie ein weites Spektrum: New Orleans-Jazz, klassisch inspiriertes Streichquartett, Filmmusik, Ballettmusik, Monk-Arrangements... Wie schaffen Sie sich den Zugang zu diesen verschiedenen Stilen?

Wynton Marsalis: Mit all dieser Musik bin ich aufgewachsen und habe sie gespielt. Ich versuche nicht, sie so zu spielen, wie sie früher gespielt wurde. Ich bringe meine eigene Sensibilität in diese Zeit ein. Ich greife die Elemente heraus, von denen ich denke, dass sie zeitlos sind, und will sie damit für die Zukunft erhalten. Mir geht es darum, ein Spektrum von Musik aufzufächern und ein künstlerisches Statement abzugeben für den Eintritt ins neue Jahrhundert.

In Ihrem Buch Sweet Swing Blues erwähnen Sie einige Ihrer Vorbilder auf der Trompete: Buddy Bolden, Bunk Johnson, King Oliver, Freddy Hubbard und Louis Armstrong. Wie würden Sie in diesem Spektrum Ihren eigenen Ton einordnen?

Ich versuche zu spielen wie sie alle zusammen, im Stil von allen genannten und noch wie Dizzy und Miles, wie „Sweets“ Edison, Roy Eldridge... Der Ton steht mit der Erinnerung in Verbindung. Wenn genug Erinnerung in deinem Ton ist, kann das die nächste Generation hören und davon lernen. Es ist sehr schwer, von Platten zu lernen. Platten machen nicht den selben Eindruck wie ein Live-Erlebnis.

Aber die alten Meister kann man nur noch auf Platte hören.

Ich habe viele von ihnen gehört, nicht Buddy Bolden natürlich, aber „Sweets“ Edison und Clark Terry.

Und der jungen Generation bleiben Sie durch Ihre Mission in Erinnerung?

Richtig, und deshalb ist es so wichtig für mich und Musiker meiner Generation, den Sound der Alten in unserem Sound zu haben.

Was halten Sie von dem Vorwurf, heute fehle es an großen Jazz-Innovatoren wie Davis, Coltrane, Monk oder Ellington?

Ich kann Ihnen Down Beat-Magazine geben aus den 40ern und 50ern, da heißt es: Wo sind all die großen Jazzvokalisten. Heute heißt es, wo sind die alten Meister, was wird aus dem Jazz. Zu allen Zeiten glaubte man, den richtigen Jazz hätte es nur früher gegeben. Wenn Sie fordern, alle müssten auf dem Niveau der großen Genies spielen, dürfte niemand mehr Musik machen. Aber das gilt für alle Bereiche, man kann nicht von jedem Physiker verlangen, ein Einstein zu sein. Würde man einem Komponisten erzählen, er müsse sich an Beethoven messen lassen, wer dürfte dann noch komponieren? In der Geschichte des Jazz gab es große Persönlichkeiten wie „Sweets“ Edison, oder Teddy Wilson, diese Musiker waren nicht Charlie Parker, aber sie haben es zu einem eigenen Sound gebracht.

Und auch heute haben wir viele Musiker, die ihren Sound haben, die leicht zu identifizieren sind, und wir vergessen, wie schwer das ist in dieser Zeit, die von MTV beherrscht ist. Wir beschweren uns sogar, weil sie nicht wie Charlie Parker oder Louis Armstrong spielen. Da stimmt etwas nicht. Es gibt heute viele Musiker, die spielen können wie irgend jemand vor ihnen, ausgenommen vielleicht die zwei oder drei Größten der Musikgeschichte.

Sie gelten als ein energischer Verfechter der klassischen Stile. Beunruhigen Sie da nicht die synthetischen Rhythmen in der Musik der jungen Leute?

Nein, die Kids kümmern sich um die Einflüsse, denen sie ausgesetzt sind. Man steht immer für das, was man kennt und was im Trend ist. Aber als die Beatles kamen, hat ein Monk deshalb nicht angefangen, wie sie zu spielen.

Was halten Sie vom Internet als Medium, Musik zu verkaufen?

Ich bin damit nicht sehr befasst. Ich mache Musik. Aber wenn man Musik macht, findet man auch Wege, damit zu seinem Publikum zu kommen. Nehmen Sie Bach, seine Musik wurde bis heute überliefert und das rund um die Welt. Aber darum hat er sich nicht gekümmert, er hat sich mit dem Komponieren beschäftigt.

Interview: Tom Fuchs

Dienstag, 20 Uhr, Musikhalle