Durch die Hintertür

In Schweden ist TV-Reklame für Zuschauer unter 12 Jahren tabu. Das Verbot wird EU-weit diskutiert, doch die Werbebotschaften kommen trotzdem an

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Schwedens Kultusministerin Marita Ulvskog sagt stolz: „Wir sind Weltmeister im Schutz von Kindern“, und meint damit das Verbot der speziell auf Kinder zielenden Fernsehwerbung. Ein Gesetz, das man nun gerne in alle EU-Länder exportieren würde und deswegen in der letzten Woche versuchte, es 220 Regierungsbeamten, Fernseh- und Werbefachleuten in Stockholm schmackhaft zu machen.

„Wir wollen nicht, dass es allein den Eltern aufgehalst wird, den Kampf mit dem Medienmarkt aufzunehmen“, sagte Ulvskog. Kein leichtes Unterfangen: Doch das Interesse der großen EU-Staaten an strengeren gesetzlichen Vorschriften ist eher mager: Nur in Danemärk, Belgien, Irland und Italien gibt es bislang ähnliche Gesetzesinitiativen. Deutschland zeigte sein Nichtinteresse dagegen demonstrativ durch Boykott der Veranstaltung – angeblich, weil beim Seminar nur eine englische und französische Simultanübersetzung angeboten wurde. Sprachen, die Berlins Kultusbeamte nicht verstehen wollten.

Kritiker werfen den Kinderschutzinitiativen vor, dass ein Verbot der kindgerichteten TV-Werbung zu heftigen finanziellen Einbußen bei den Fernsehsendern führen würde und diese ihre ohnehin schon spärlichen Eigenproduktionen in Sachen Kinderprogramm vollständig durch billige Massenware aus den USA und Japan ersetzen könnten.

In Schweden läuft dank der öffentlich-rechtlichen Sender qualitativ hochwertiges Kinderprogramm. Die Konkurrenz der kommerziellen TV-Programme ist eher gering. Doch gerade deren Einführung veranlasste das schwedische Werbeverbot: Nach dem Fernsehgesetz ist jede Reklame verboten, die speziell an Kinder unter 12 Jahren gerichtet ist. Grund für dieses Gesetz waren Untersuchungen, nach denen jüngere Kinder überhaupt noch nicht zwischen Werbeprogramm und TV-Programm unterscheiden können. Die VertreterInnen der Werbewirtschaft verwiesen in Stockholm dagegen auf Untersuchungen, die zum gegenteiligen Ergebnis kommen – und sogar die angebliche Wirkungslosigkeit der ausgestrahlten Werbebotschaften beweisen sollten.

Doch scheint dieser Streit müßig: Allein die Tatsache, dass jährlich Milliarden europaweit in Fernsehwerbung für Kinder und Jugendliche investiert werden, dürfte ausreichen, von deren Wirkung im Sinne der Auftraggeber auszugehen.

Nun hat allerdings das TV-Werbeverbot kaum dazu geführt, dass schwedische Kinder gegen jegliche kommerzielle Lockungen gefeit sind. Die werbetreibende Wirtschaft war in lediglich gezwungen, früher und häufiger die Hintertür zu benutzen. So erfand McDonalds 1985 für Schweden seinen „Hamburger-Kinderklub“ – um ihn dann auch in andere Länder zu exportieren. Werbebotschaften laufen jetzt über „Events“, Wettbewerbe, Internet-Chat- und -Spielangebote und Product-Placement in Filmen und Musiksendungen genauso effektiv, und wahrscheinlich sogar um einiges subtiler.

Die spricht natürlich nicht gegen werbefreie oder „gebremste“ Zonen rund um das Kinderfernsehen, sei es durch generelle Verbote wie in Schweden und Norwegen, durch einen fünfminütigen Zeitpuffer vor und nach dem Kinderprogramm wie in Dänemark – oder eine verschärfte gesamt-EU-gültige Direktive. Denn die jetzige von 1997 will nur solche Werbung stoppen, die „moralischen oder physischen Schaden“ zufügen könnte.

Schweden will nun versuchen, an einer Neuformulierung zu arbeiten, die diese Direktive spätestens im nächsten Jahr ersetzen und erweitern soll. Die Werbewirtschaft will hingegen kein Gesetz, sondern setzt auf die in ihren Augen ausreichende „freiwillige Selbstkontrolle“.

VerbraucherInnenombudsfrau Marianne Abyhammar warnte in Stockholm vor einem schwedischen Alleingang: „Den Kindern ist nicht damit gedient, wenn sie nur gegen Werbung des nationalen Fernsehens geschützt werden, aber aus anderen Ländern ausgestrahlte Programme ungebremst weiterwerben können. Und wir müssen den Blick auf das ganze Umfeld richten. Nicht nur auf einzelne Werbespots.“