Zu viel strahlend weiße Zähne

■ In der Glocke boten die Harlem Gospel Singers eine ebenso kühle wie perfekt inszenierte Bühnenshow im Namen des Herrn

Dass Bill Clinton kürzlich in der Backwaren-Kette „Wimp's Southern Style Bakery“ eine exorbitante Bananenpuddingtorte gegessen hat, war den überregionalen Zeitungen in Deutschland allemal eine Nachricht wert. Fand das Gebäck doch inmitten des New Yorker Stadtteils Harlem ihren Weg in den Verdauungstrakt des ehemaligen US-Präsidenten, in jener Gegend also, wo gleich neben Bananenpuddingtorten Ghettoblaster und Revolver in und so manche durchschossene Leiche vor der Auslage zu liegen pflegen.

So stand's jedenfalls immer in den NY-Reiseführern. Aber nun wohnt Clinton in Harlem, Millionen Dollar flossen in die Ansiedlung von Body-Shop-Filialen, Putzkolonnen und Polizeistreifen, und kürzlich hat Basketballstar Magic Johnson ums Eck ein schickes Multiplexkino eröffnet. Kurzum: Derzeit gibt Harlem weit weniger Anlass als früher, den Herrgott via Gospelintonation um Rettung aus grausig-großer Not anzuflehen.

Ob's daran liegt, dass sich die Harlem Gospel Singers schwer damit tun, ihrem Namen gerecht zu werden? Mit Gospeln hatte das, was der 15-köpfige Chor rund um Bandgründerin Queen Esther Marrow in der Glocke präsentierte, jedenfalls eher weniger zu tun. Zwar steppte zuweilen ein stiernackiger Reverend Charles R. Lyles jesusverzückt über die Bühne und Marrow pries allenthalben den Herrgott, was das Kreuz hielt – doch erinnerte der Auftritt weniger an eine religiös inspirierte Gottesfeier als vielmehr an eine Popmusik-Show in wechselnder Kostümierung.

Natürlich durften nicht die Reminiszensen an die schlechte alte Zeit fehlen, in der schwarze Jazz-Legenden im Cotton Club fürs Amüsement der weißen Upper Class sorgen mussten. Und ebenso natürlich schwelgte Queen Esther Marrow mit zartem Timbre in der Stimme in Erinnerungen an ihren Entdecker Duke Ellington und das heimelig-nachbarschaftliche Flair ihres geliebten New Yorker Stadtteils und seiner traditionsreichen Geschichte. Eingebettet aber war dies alles in eine von vorn bis hinten gestylte Show, in der kein Grinsen ungegrinst blieb und jede Ges-te, jeder Satz zuvor in hartem Training in die Gesichter gemeißelt worden war.

Das Resultat war ambivalenter Natur. So kühl die Inszenierung trotz steten Appells an die große Klatschfreudigkeit des Publikums doch wirkte, so sehr überzeugten die Harlem Gospel Singers gleichzeitig durch perfekte Choreografien und stimmige Arrangements. In einer Mischung aus religiös motivierter Gymnastikstunde, Tanzvergnügen und Prêt-à-porter schaukelte sich das Bühnengeschehen der ersehnten Zugabe entgegen, wo unter stehenden Ovationen ein ganzer Saal den Tag zu einem „Oh happy day“ erklärte.

Schon in den zwei Sets zuvor gab es keinen Grund zur Klage. „Egal was der Doktor sagt, Jesus ist für Dich da“, versprach die Queen. Und zwischen „Down by the riverside“ und dem guten Gefühl, einen „Brand new day“ erleben zu dürfen, sangen sich die Gospel Singers in stimmlicher Perfektion durch manch altes und viel neues, poppig-modern arrangiertes Liedgut, derweil vor allem der virtuose Pianist Anthony Evans mit viel Sinn für den theatralen Effekt dafür sorgte, dass keine Taste ungehämmert blieb.

Dennoch: Richtig warm um die Hostie wurde es einem nur selten, weil die ekstatischen Hüftschwung- und Winke-Winke-Choreografien oft wirkten wie aus dem Boygroup-Simulator. Und das permanent strahlende Weiß der stetig zur Schau getragenen Zahnreihen schließlich erzeugte mit der Zeit das heftige Bedürfnis, ebendort per Faustschlag eine kleine, hässliche Sichtluke zu erzeugen. Gott, ein schlimmer Gedanke. Aber als „Soldier in the army of God“ lernt man halt, sich zu verteidigen. zott