Der Zud kennt keine Gnade für das Vieh

In der Mongolei bedroht der zweite außergewöhnlich kalte Winter in Folge die Nomaden und ihre Herden

ULAN BATOR taz ■ S. Sukhbaatar ist mit seiner Frau, den vier Kindern, seiner Mutter sowie 310 Rindern und 35 Pferden bei Temperaturen von bis zu minus 50 Grad umgezogen. Die Nomadenfamilie zog vom Zavkhan-Aimak, der am schlimmsten vom Zud betroffenen Region fast 600 Kilometer weiter in den Nordkhangai-Aimak. Zud nennnen die Mongolen Eiswinde, Kälte und hohen Schnee. Vor zwei Wochen hat die Familie dort, wie bereits andere Nomaden, ihr Winterlager im Kreis Tsakhir aufgeschlagen. So kamen zu den 49.000 Tieren des Kreises 109.000 aus anderen Provinzen hinzu, die die ausgelaugten Weiden erheblich belasten.

Da der vergangene Sommer in weiten Teilen des Landes sehr trocken war, konnten sich die Tiere nicht fett genug fressen. Auch war eine ausreichende Heubevorratung nicht möglich. Gründe für die neuerliche Winterkatastrophe sind aber auch die Nachlässigkeit und die mangelnde Vorsorge von Viehzüchtern sowie Provinzregierungen und eine Überweidung im Zuge der Ausweitung des Viehbestandes seit dem Ende des Sozialismus.

Nach den Erfahrungen des letzten Winters, der bereits ungewöhnlich hart war, steigen die Viehverluste ab Ende Januar an und nehmen von März bis Mai sprunghaft zu, wenn die Tiere völlig ausgehungert sind. Der letztjährige Zud raffte bereits 2,4 der insgesamt rund 30 Millionen Tiere dahin. In diesem Winter, der als der härteste seit fünfzig Jahren gilt und der 90 Prozent des Landes mit Schnee bedeckt hat, sind bereits jetzt schon über eine Million Schafe, Rinder, Ziegen, Kamele und Pferde verendet. Bis zum Beginn der Vegetationsperiode Ende Mai befürchtet die UNO Verluste von bis zu 6,6 Millionen Tieren durch Kälte und Futtermangel. Dann wären mehrere zehntausend Familien ihrer Existenzgrundlage beraubt.

Manche Nomadenfamilien teilen inzwischen ihr Essen und ihre Jurte mit Schafen und Ziegen oder bedecken die Rinder mit den eigenen Deels, der mantelartigen mongolischen Nationaltracht. Um die Todesqualen verhungernder und erfrierender Tiere abzukürzen, greifen die Viehzüchter zu Messer und Beil.

Es gibt Berichte über Selbstmorde von Züchtern, die ihre gesamte Herde verloren haben. Bisher sind mindestens zehn Menschen auf der Suche nach ihrem Vieh in Schneestürmen umgekommen. In der benachbarten und zu China gehörenden Inneren Mongolei, ebenfalls von extremer Kälte betroffen, erfroren nach Behördenangaben 39 Menschen und 400.000 Tiere.

Das mongolische Rote Kreuz organisiert bereits seit Winterbeginn Hilfe für die Menschen in den Katastrophengebieten. Viele Steppenpisten und Bergstraßen sind längst unpassierbar oder müssen mühselig freigeräumt werden. Auch aus dem Ausland einschließlich Deutschland trifft Hilfe ein. Wie schon im vergangenen Jahr stellt ein Problem die Verteilung der Hilfsgüter sowie die Sicherung ihrer Qualität infrage: Die Streichhölzer seien von solch minderer Qualität, dass eine ganze Schachtel für einen Funken nötig ist.

RENATE BORMANN