Tage des Zorns in Tel Aviv

Israels Arbeitspartei ist zerrissen: Die einen hoffen, in einer großen Koalition den Friedensprozess zu retten. Die anderen sehen ihre Seele verkauft

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

14 Jahre nachdem die israelische Arbeitspartei zusammen mit dem Likud das Land regierte, steht sie erneut vor einer großen Koalition. „Damals verhinderten wir den rechten Wahnsinn“, resümiert Jossi Beilin das Zusammengehen von Schimon Peres und Jitzhak Schamir. Diesmal werde es anders sein: Der designierte Premierminister Ariel Scharon „wird der Koalition seine Politik diktieren“. Jossi Beilin handelte einst im Auftrag von Schimon Peres die Osloer Prinzipienerklärung aus. Jetzt wendet selbst er sich gegen seinen Mäzen und persönlichen Freund, der sich zum „Feigenblatt einer rechtsradikalen Regierung“ machen lässt, wie Noch-Außenminister Schlomo Ben-Ami schimpft.

Seit der verheerenden Wahlniederlage vor drei Wochen ringt die Arbeitspartei mit sich und der Frage, ob sie Scharons Regierung der nationalen Einheit beitreten soll. Auf der Sitzung des Zentralkomitees am Montag entschied sich die Partei zwar mit einer Zweidrittelmehrheit, der großen Koalition beizutreten. Doch zugleich brach sich die Zerissenheit Bahn, als kämpfte die Partei um ihre Seele. „Du kannst uns nicht drohen“, rief Peres mit dem Finger auf Ben-Ami gerichtet. „Ich bin seit 50 Jahren in der Partei. Wir haben Schlimmeres überlebt.“ Ben-Ami hatte zuvor an den Zentralrat der Partei appelliert, den Weg in die Opposition zu nehmen: Die Vorstellung, die Arbeitspartei trete Scharons Koalition bei, widere ihn an.

Bei der Streit handelt es sich weder um einen Generationskonflikt – auch der junge Chaim Ramon unterstützt den Beitritt zu Scharons Koalition vehement – noch geht es um ideologische Differenzen. „Ich lasse mir Oslo nicht nehmen“, rief Peres vom Rednerpult. Niemand wird ihn in dieser Frage mehr unterstützen als Jossi Beilin, der ja selbst in Oslo war. Unterschiedlicher Auffassung ist in dieser Frage vielmehr der noch amtierende Premier Ehud Barak, der aus Sorge vor einer niemals endenden Salamitaktik der Palästinenser direkt zur Endstatus-Lösung springen wollte und damit letztendlich beide Völker überforderte. Barak hatte sich schon 1993 bei der Knesset-Abstimmung über die Osloer Verträge enthalten.

Barak und Scharon, deren Zusammengehen vor zwei Jahren an der Frage der territorialen Kompromissbereitschaft auf den Golanhöhen scheiterte, stehen sich ideologisch viel näher als Peres und Scharon. Beide sind zweifellos der Ansicht, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis nicht möglich ist. Und beide haben ihre entscheidenden Lebensjahre in Uniform verbracht. Doch während Barak eine schnelle Trennung anstrebt, verfolgt Scharon eine Fortsetzung der israelischen Kontrolle über so viel Gebiet wie nur möglich, denn Land bedeutet Sicherheit. Peres wiederum hält – ähnlich wie Beilin – den Konflikt schlicht für anachronistisch. In Zeiten von „Internet, Coca-Cola und Jeans“ verwischten sich die ethnischen Unterschiede zunehmend, meint er. Landesgrenzen spielten früher oder später kaum noch eine Rolle.

Möglich ist, dass den oft beim Volk als Träumer verrufenen Peres ein ähnliche Sicht in die Koalition treibt. Aus verschiedenen Lagern zu kommen ist für ihn kein Grund, eine gute Zusammenarbeit auszuschließen. Schließlich einigten sich die Verhandlungsdelegationen der Koalitionsgespräche auf eine Anerkennung aller bisherigen Verträge und eine Fortsetzung der Friedensprozesse mit den Palästinensern und Syrern auf der Grundlage der UN-Resolutionen 242 und 338, „Land gegen Frieden“. Beilin und Ben-Ami hingegen sehen nicht nur Scharons bisherige, wenig Hoffnung versprechenden Äußerungen zu einer Fortsetzung des Friedensprozesses, sondern zudem seine Partner im rechten Spektrum. „Scharon braucht eine Legitimation für seine Gandhi-Liebermann-Regierung“, meinte Beilin. Rechawam Seewi, der seit seiner Militärzeit aus unerfindlichen Grünen den Spitznamen Gandhi trägt, und Avigdor Liebermann sind die beiden Rechtsaußenpolitiker, die Scharon zu sich ins Kabinett bat. „Wer wäre besser dafür geeignet als der Friedensnobelpreisträger Peres.“

Beilin ist der Ansicht, dass die Bedingung Scharons, „keine Verhandlungen zu führen, solange Terror und Gewalt andauern“, unrealistisch ist. Dazu müssten islamische Fundamentalisten wie die Hamas zunächst den Prozess unterstützen. Likud-Regierungen, so erinnerte Parlamentspräsident Abraham Burg, haben in der Vergangenheit den Frieden vorangetrieben, wenn sie allein regierten. So in Camp David und in Wye-Plantation. Zusammen mit der Arbeitspartei seien sämtliche Prozesse ins Stocken geraten.

Noch in dieser Woche steht der Arbeitspartei eine weitere Sitzung des Zentralkomiteerats bevor. Diesmal soll es um die Verteilung der Ministerposten gehen. Scharon sieht für seinen stärksten Koalitionspartner nicht weniger als acht Kabinettssitze vor. Der Zentralrat entschied, die Liste der Minister im Verlauf der kommenden Sitzung selbst zu benennen, anstatt dem Parteivorsitzenden die Wahl zu überlassen. Noch-Finanzminister Baiga Schochat nannte diese Entscheidung „Selbstmord“. Das neue System gibt auch Politikern, die nicht der ersten Liga angehören, Chancen auf einen Ministerposten.