Jäger des verlorenen Kunstschatzes

Das Landesmuseum in Schleswig verliert seine „Brücke“-Sammlung – wegen Taktlosigkeit gegenüber dem Mäzen

Es gilt als Nummer eins im Norden: das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum in Schleswig. Gerhard Wietek und Heinz Spielmann waren die Direktoren, die dem Museum an der Schlei einen weltweiten Ruf einbrachten. Doch als Spielmann vor knapp zwei Jahren seinen Sessel an Herwig Guratzsch aus Leipzig übergab, begann der Wandel – auch in der Wertschätzung bisher gesammelter Kunst. „Nach mir kamen Holzhammer-methoden“, klagt Spielmann, „jetzt jagen sie sogar Sammler und Mäzene aus dem Land.“

Der Gejagte ist Hermann Gerlinger (69), Ingenieur aus Würzburg, von Ministerpräsidentin Heide Simonis wegen seiner Forschungen und Publikationen zu kunsthistorischen „Brücken-Themen“ zum Honorarprofessor ernannt, vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog in höchsten Tönen gelobt ob seines Engagements für die Kunst. Als da sind: 800 Werke der Expressionisten der „Brücke“ – Nolde, Kirchner, Heckel, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Mueller, Bleyl, Amient. Geschätzter Wert? „Geht nicht, weil nichts verkauft wird“, so Gerlinger. Experten glauben anhand der Versicherungssumme an eine zweistellige Millionensumme. Entsprechend hat sich Spielmann, ein innovativer Mann, offen und leidenschaftlich für die Werke eingesetzt. Die Kunstwelt in München, Berlin, New York, London schaute bewundernd nach Schleswig.

Jetzt schaut sie weg, denn der Bruch zwischen neuer Museumsleitung und dem Mäzen ist peinlich. Vor drei Wochen, datiert am 8. Februar, erhielt Sammler Gerlinger einen Brief aus Kiel, Absender: die Ministerin für Kultur, Ute Erdsiek-Rave, bekannt für Ambitionen auf das höchste Amt im Land, bekannt auch für ihre klare Sprache. Sie setzte Gerlinger schlichtweg ein Ultimatum, Tenor: Übertragen Sie uns das Eigentum bis zum Sommer, damit Rechtssicherheit geschaffen werden kann. Gerlinger: „Die hat mich unverhohlen zur Schenkung aufgefordert. Davon war nie die Rede.“ Im Ministerium wiegelt der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, Dr. Thomas Gädeke, ab: „Wir wollten Herrn Gerlinger doch nur schützen. Wenn ihm was passiert, wenn ihm ein Stein auf dem Kopf fällt . . .“ Und auch der Sprecher der Ministerin, Gert Haack, sucht nach Schadensbegrenzung: „Dass die Sammlung weggeht, ist ein großer Verlust. Wir bedauern das sehr, aber schließlich hat Herr Gerlinger das Tuch zerrissen.“

Hat er? Gerlinger jedenfalls reagierte prompt und ebenso klar: „Meine Sammlung wird aus dem Museum geholt. Komplett. Bis Ende März.“ Ausgerechnet dann ist Roman Herzog wieder im Norden, natürlich steht auch ein Besuch bei den Expressionisten auf dem Programm. Der ehemalige Bundespräsident muss sich wohl beeilen, lange werden Nolde, Kirchner und Co. nicht mehr in Schleswig zu sehen sein.

Die nächsten Schritte wird sich Gerlinger genau überlegen: „Ich kann nur so viel sagen: Die Sammlung geht geschlossen an ein Museum, wird auf keinen Fall verkauft.“ Man darf gespannt sein, ob sie einen Platz irgendwo anders im Norden findet oder nach Ost- oder Süddeutschland gelangt. Interessenten gibt es reichlich. Der Lübecker Designer Karl-Heinz Augsten nennt die Schlammschlacht schlicht „unwürdig“. Für Schleswig-Holstein und die Kunst entstehe ein „enormer Imageverlust“. Frage an den Verantwortlichen: Haben Sie was gegen Expressionisten, Herr Guratzsch? Lapidare Antwort: „Wir werden neue ins Land holen.“

Experten bezweifeln das. „Brücke“-Künstler gebe es nicht wie Sand am Meer. Dass die Sammlung Gerlinger das Museum und damit das Land verlässt, sieht Guratzsch nicht tragisch: „So bedeutend war die Sammlung doch gar nicht.“ Wie? Auf einmal nicht? Gedächtnisschwund? Wir dürfen erinnern: „Es ist die bedeutendste Sammlung zum deutschen Expressionismus“ steht in der Raumbeschriftung im Schleswiger Museum. Verantwortlich dafür: Direktor Guratzsch. Da stimmt doch was nicht. Am 4. Februar 1960 schrieb Karl Schmidt-Rottluff an Emil Nolde: „Dass ich gleich mit der Sprache herausrücke – eine von den Bestrebungen der Brücke ist, alle revolutionären und gärenden Elemente an sich zu ziehen.“ Nun gärt es im Norden.

ULI PAPE/ TOM RAM