Nebensachen aus Rom
: Italiens schlimmstes Versprechen

Die Geste wiederholt sich täglich tausendfach: Mit den gespreizten Fingern der rechten Hand schlägt sich der freundliche Mann aus dem Süden an die linke Brustseite, dorthin, wo das Herz schlägt, biegt den Hals nach hinten, sieht seinem Gegenüber mit festem Blick in die Augen und sagt aus tiefster Kehle: „Ci penso io!“

Dem Wortsinne nach bedeutet das: Darum kümmere ich mich. Und der gute Giuseppe oder Carlo übernimmt damit die Reparatur des Autos, einen wichtigen Behördengang oder die Beschaffung von Karten fürs Rolling-Stones-Konzert. Meist wird der Satz auch noch von einem „Non si preoccupi!“ begleitet, was wiederum bedeutet: Machen Sie sich keine Sorgen.

Gerade die aber sollte man sich machen. Italien ist reich an Sätzen, deren wahrer Sinn ziemlich genau das Gegenteil vom Wortlaut ist, aber das „ci penso io“ ist der Gefürchtetste von allen. Einerseits nämlich kann man ihn auf keinen Fall zurückweisen, ohne den Freund zu beleidigen, und andererseits kann man auch niemand anderen mehr mit dieser Aufgabe betrauen: Es würde ja bedeuten, dass man dem Wort des Freundes nicht traut, und das wäre natürlich der absolute Fauxpas.

Doch oft erscheint Giuseppe oder Carlo dann im allerletzten Augenblick mit erbarmungswürdigem Gesicht, erzählt eine lange Geschichte von der Schlechtigkeit der Welt und dass der Vetter, der sonst alle Ersatzteile besorgt hat, leider in Urlaub ist, der Freund, der in der Behörde arbeitet, versetzt wurde, das Konzertticket unverständlicherweise an jemand anderen verkauft worden ist . . . Leider ist es in der Regel nun zu spät, selbst noch aktiv zu werden. Südland-Hasen haben längst gelernt, wichtige Wünsche und Absichten so geheim zu halten, dass kein Giuseppe oder Carlo sich mit seinem „ci penso io“ dazwischendrängen kann.

Dabei meinen es die Freunde wirklich gut, und nichts läge ihnen ferner, als leichthin leere Versprechen zu geben – aber versprochen muss etwas werden, das gebietet schon die Freundschaft. Nur leider stellt sich nicht selten heraus, dass man das Versprochene nicht beibringen kann. Das wäre an sich nicht schlimm, erhielte der Freund unverzüglich die Nachricht von der Unmöglichkeit des Dienstes. Aber genau hier beginnt das wirkliche Problem: Nun schämt sich Giuseppe oder Carlo und beginnt auf ein Wunder zu hoffen – dass das Auto auch ohne das Ersatzteil wieder funktioniert, die Behörde aufgelöst wird, das Stones-Konzert einfach ausfällt . . . Und so verstreicht die Zeit, in der man vielleicht noch wirklich hätte etwas unternehmen können.

Ein Volk unzuverlässiger Sprüchemacher also, sollte das die Quintessenz der Erfahrungen mit dem „ci penso io!“ sein? Mitnichten. Denn unversehens kehrt sich die Malaise oft ins Positive: Weil er den Dienst nicht erledigen konnte, hat Giuseppe oder Carlo Ersatz mitgebracht: eine gute Flasche Wein oder die Einladung zu einem Konzert einer lokalen Rap-Gruppe. Und so wird man sich darüber klar, dass es gar nicht wichtig ist, das Auto sofort wieder in Schuss zu kriegen, den Antrag abzugeben oder abgetakelte Popveteranen anzuglotzen . . .

Warum ich hier nur von Giuseppe und Carlo spreche und nicht von Franca oder Manuela? Nun ja – ich habe das „ci penso io“ noch fast nie aus weiblichem Mund gehört. Und schon gar nicht, wenn sie es nicht halten konnten.

WERNER RAITH

In der Kolumne „Nebensachen“ schrieb Werner Raith über die für das Verständnis Italiens wichtigsten Dinge: den täglichen Millennium-Bug, die Einkommensteuererklärung oder das Schicksal von Strandburgen vor Fußballspielen. Die Kolumne „Italiens schlimmstes Versprechen“ erschien am 23. 8. 1999 in der taz.