KULTURBARBAREI DER TALIBAN: WESTEN HAT KEIN RECHT ZU PROTESTIEREN
: Vormoderne mit modernen Mitteln

Die islamistischen Taliban-Milzen sind dabei, religiöse Weltkultur zu zerstören. Fast 2.000 Jahre alte Statuen sind dem Vandalismus ausgesetzt. Nicht „die Welt“ ist empört, wie es in vielen Kommentaren heißt – sondern nur der Westen. Selbst Länder, in denen der Bhuddismus zu den großen Religionen gehört, reagieren eher verhalten. Armut macht pragmatisch. In Afghanistan demontierte buddhistische Kunst kann im Nachbarland Pakistan verhökert werden – wie Opium und auf denselben Schleichwegen. Indien protestiert zwar, hat aber mit analogen Problemen zu kämpfen: Hinduistische Fundamentalisten wollen Moscheen niederreißen.

Bei der Vernichtung „unislamischer Kunstwerke“ durch die Taliban denken Deutsche spontan an „artfremde Kunst“ und deren Liquidation im „Dritten Reich“. Mit gewissem Recht: Wie dort geht in Afghanistan vormoderne Barbarei eine Koalition mit der Moderne einer „Bewegungspartei“ ein – die nicht nur Kunstwerke zerstört, sondern den Massenmord organisiert.

Die Machthaber in Kabul ziehen seit Jahren eine Blutspur hinter sich her. Hunderttausende wurden hingeschlachtet, über eine halbe Million Zivilisten sind auf der Flucht. Die martialischen Gotteskrieger betreiben ihr blutiges Handwerk mit modernsten Waffen. Auch die „Götzenvernichtung“ in Allahs Namen soll mit modernem Sprengstoff aus dem Arsenal international agierender Waffenhändler erfolgen. Die Revolution braucht Futter, will sie nicht veröden.

Derweil spekuliert der Westen darüber, ob er erpresst werden soll. „Christliche“ Dollars gegen buddhistische Kunst? Aufhebung von UNO-Sanktionen und Gewährung von Wirtschaftshilfe, um die Herrschaft des Hungers zu brechen? UNO und Nato werden sich vor allem nach den Kriterien für ihre Interventionen fragen lassen müssen. Ist Gewalt am Golf oder das bestialische Morden in der Adria-Region anders zu bewerten als das Abschlachten der Opposition in Afghanistan? Beinahe zynisch mutet es an, wenn das Schicksal der Opfer erst wieder Schlagzeilen macht, wenn die Täter „Weltkulturerbe“ zerstören. Eine „humanitäre Katastrophe“ gibt es für zehn Millionen Afghanen schon seit 20 Jahren. Moral ist nicht teilbar und vollends unglaubwürdig, wenn sie nur für politische Interessen instrumentalisiert wird. Solange der Westen hier nicht Klarheit schafft, fehlt ihm das moralische Recht zum kulturellen Protest.

GERHARD BESIER

Historiker und Theologe, Professor an der Universität Heidelberg